Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
schwächeren Menschen die Jagd auf die große Tiere erlaubte – gab selbst dem Junglöwen eine Gelegenheit, sein Können zu erproben.
Als Ayla die Grube erreichte, hatte der Onager entsetzensgeweitete Augen; er war gefangen in einer Fallgrube, und auf seinem Rücken saß das fauchende Junge eines Höhlenlöwen und versuchte, mit seinen Milchzähnen tödliche Bisse anzubringen. Mit einem sicheren Speerstoß beendete die Frau den Kampf des Tieres. Das Löwenjunge immer noch in seinen Rücken verbissen – seine scharfen kleinen Zähne hatten es immerhin geschafft, das Fell zu durchdringen – brach der Onager zusammen. Erst als er sich nicht mehr rührte, ließ Baby los. Ayla lächelte das stolze und ermunternde Lächeln einer Mutter, und der Höhlenlöwe, der sich am Rücken eines Tieres festkrallte, das viel größer war als er selbst, versuchte stolz und überzeugt, eine Beute geschlagen zu haben, zu brüllen.
Ayla sprang zu ihm in die Grube hinunter und schob ihn beiseite.
»Rück rüber, Baby. Ich muß ihm diesen Strick um den Hals binden, damit Winnie ihn rausziehen kann.«
Das Löwenjunge war, als das Pferd sich in das Zuggeschirr legte und den Onager aus der Grube herauszog, regelrecht ein Nervenbündel. Baby sprang in die Grube hinein und wieder heraus, und als der Onager endlich draußen war, war er mit einem Satz auf dem toten Tier und dann wieder herunter und wußte nicht, was tun. Der Löwe, der ein Beutetier gerissen hatte, war für gewöhnlich der erste, der seinen Hunger stillte, doch schlug Baby noch nicht wirklich Beute. Nach der üblichen Rangordnung waren die Jungtiere die letzten, die etwas abbekamen.
Ayla legte den Onager zurecht, um den Bauchschnitt auszuführen, der am After begann und an der Gurgel endete. Ein Löwe wäre ähnlich vorgegangen und hätte zunächst die weiche Unterseite aufgerissen. Während Baby gierig zusah, brachte Ayla den ersten Teil ihres Schnittes zu Ende, drehte sich dann um und setzte sich rittlings auf ihre Beute, um den Rest zu erledigen.
Baby konnte nicht mehr warten. Er fuhr in die klaffende Bauchhöhle und schnappte nach den herausquellenden, blutigen Innereien. Seine nadelscharfen Zähne zerrissen das zarte innere Gewebe und schafften es, irgend etwas zu packen. Er stieß sich ab, so daß er herunterkam, und zerrte dann rückwärtsgehend wie beim Fellziehen an dem, was er gepackt hielt.
Ayla beendete ihren Schnitt, drehte sich um und spürte, wie jubelnd Lachen in ihr aufstieg. Was sie sah, belustigte sie dermaßen, daß sie sich krümmte und ihr die Lachtränen in die Augen stiegen. Baby hatte sich in ein Stück Darm verbissen, doch als er rückwärtsgehend daran zerrte, gab es plötzlich keinen Widerstand mehr. Die Innereien rutschten von selbst heraus. Im Feuereifer hatte er solange gezogen, bis mehrere Fuß Darm draußen waren, und als ihm jetzt alles entgegenquoll, machte er ein so erstauntes Gesicht, daß Ayla sich nicht mehr halten konnte. Sie ging zu Boden, hielt sich die Seiten und versuchte, sich wieder zu fassen.
Der junge Löwe, der nicht begriff, was die Frau auf dem Boden machte, ließ den Darm fahren und kam nachsehen. Grinsend packte sie ihn, nachdem er auf sie zugehopst war, beim Kopf und rieb ihr Gesicht an seinem Fell. Dann kraulte sie ihn hinter den Ohren und am leicht blutbefleckten Maul, und er leckte ihr die Hände und drängte sich ihr auf den Schoß. Er fand ihre beiden Finger, drückte abwechselnd mit den Vordertatzen gegen ihre Oberschenkel, saugte und gab leise schnurrende Laute von sich.
Ich weiß nicht, wer dich mir geschickt hat, Baby, dachte Ayla, aber ich bin ja so froh, daß du da bist.
14
Als es Herbst wurde, war der Höhlenlöwe bereits größer als ein ausgewachsener Wolf, und seine babyhafte Pummeligkeit war verschwunden. Er hatte schlaksige Beine und strotzte vor Muskelkraft. Doch trotz seiner Größe war er immer noch ein Junglöwe, und Ayla bekam, wenn er sich spielerisch mit ihr balgte, manchen Kratzer und manchen blauen Fleck ab. Schlagen tat sie ihn nie – er war ja ein Baby. Allerdings machte sie ihm mit ihrer »Aufhörens«-Gebärde Vorhaltungen und stieß ihn von sich, um dann hinzuzusetzen: »Das reicht. Du bist zu ungestüm!« und wandte sich von ihm ab.
Das genügte, und zerknirscht kam der junge Löwe hinter ihr her und machte Unterwerfungsgesten, so wie Mitglieder eines Löwenrudels es den stärkeren und beherrschenderen innerhalb ihrer Reihen gegenüber machten. Dem konnte sie nicht widerstehen, und er
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