Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
konnte, und sie unter Bergen von aufgetürmten Steinen zu lagern. Aber mit den winterlichen Bewegungen der Herden war sie nicht vertraut genug, und so war sie in ihren Bemühungen nicht so erfolgreich, wie sie gehofft hatte. Wenn sie ihrer Sorgen wegen manchmal nachts auch keinen Schlaf fand, bedauerte sie doch keinen Augenblick, das Löwenbaby bei sich aufgenommen zu haben. In der Gesellschaft von Pferd und Höhlenlöwe litt die junge Frau nur selten unter der Einsamkeit, in der sie gezwungen gewesen war, sich ausschließlich mit sich selbst zu beschäftigen, wie in den meisten vorangegangenen Wintern. Statt dessen war ihre Höhle oft von Lachen erfüllt.
Jedesmal, wenn sie hinging, um ein neues Fleischversteck zu öffnen, war Baby dabei und versuchte, an den gefrorenen Tierkadaver heranzukommen, kaum daß sie den ersten Stein fortgewälzt hatte.
»Baby! Geh mir aus dem Weg!« Sie lächelte den jungen Löwen an, der sich mit komischen Schlenkerbewegungen unter die Steine zu schieben versuchte. Er war es dann, der das hartgefrorene Tier den Pfad hinauf- und in die Höhle hineinschleifte. Als ob er wüßte, daß sie schon früher von Höhlenlöwen benutzt worden war, machte er die Nische an der Rückwand zu seinem Lager und brachte auch die gefrorenen Tierkadaver zum Auftauen dorthin. Mit Vorliebe riß er aber schon vorher einen Brocken Fleisch heraus und kaute genüßlich darauf herum. Ayla wartete, bis er aufgetaut war, ehe sie für sich selbst ein Stück davon abtrennte.
Als die Fleischvorräte draußen dahinschwanden, fing Ayla an, das Wetter zu beobachten. Dann dämmerte ein klarer, klirrend kalter Tag herauf; sie beschloß, auf die Jagd zu gehen – oder es zumindest zu versuchen. Sie hatte sich keinen besonderen Plan zurechtgelegt, obwohl sie ausgiebig darüber nachgedacht hatte. Sie hoffte, daß ihr eine Idee kommen würde, sobald sie draußen wäre, oder daß ein besserer Eindruck von den Bodenverhältnissen ihr die Augen für irgendwelche neuen Möglichkeiten öffnete. Sie mußte etwas unternehmen und wollte nicht warten, bis alles gefrorene Fleisch aufgefressen war.
Sobald sie Winnies Tragkörbe hervorgezogen hatte, wußte Baby, daß sie bald auf die Jagd gehen würden und lief immer wieder aufgeregt zur Höhle hinaus und wieder herein und knurrte voller Vorfreude. Winnie warf den Kopf in die Höhe, wieherte und war bei der Aussicht genauso erfreut wie er. Als sie endlich die kalte, im strahlenden Sonnenschein daliegende Steppe erreicht hatten, waren Verkrampfung und Sorge schon ein wenig von Ayla abgefallen und hatten der Hoffnung und der Freude an dem Unternehmen als solchem Raum gegeben.
Die Steppe war mit einer dünnen, blendend weißen Schneeschicht bedeckt, die der Wind kaum durcheinandergebracht hatte. Die Luft klirrte vor Kälte, daß die Sonne gar nicht hätte zu scheinen brauchen – nur, daß es dann dunkel gewesen wäre. Bei jedem Atemzug bildete sich eine weiße Dampfwolke; das Eis, das sich um Winnies Maul herum angesetzt hatte, sprühte in allen Richtungen davon, wenn sie schnaubte. Ayla war dankbar für die Vielfraßkapuze und die vielen wärmenden Felle, die ihr die Jagd eingebracht hatte.
Sie blickte auf die mit federnder Anmut sich bewegende Großkatze neben ihr und war ganz erschrocken, als ihr hier im Freien aufging, daß sie von der Schulter bis zu den Hinterläufen fast so lang war wie Winnie und sich auch dem Stockmaß des kleinen Pferdes rasch näherte. Der im Jünglingsalter stehende Höhlenlöwe zeigte den Anfang einer rötlichen Mähne, und Ayla fragte sich, warum ihr das nicht schon früher aufgefallen war. Plötzlich hellwach, schoß Baby, den Schwanz waagerecht nach hinten streckend, voraus.
Ayla war das Fährtenlesen in der winterlichen Steppe nicht gewohnt, doch selbst vom Rücken ihres Pferdes aus waren die Wolfsspuren im Schnee zu erkennen. Die Pfotenabdrücke waren klar und deutlich und weder von Sonne noch Wind angenagt, also offensichtlich frisch. Baby schnürte voraus; sie mußten in der Nähe sein! Sie trieb Winnie zu einem Galopp an und holte Baby gerade rechtzeitig ein, um mitzubekommen, wie das Wolfsrudel einen alten Bock einkreiste, der hinter einer kleinen Steppenantilopen-Herde hergezogen war.
Der Junglöwe sah sie gleichfalls, konnte sein Jagdfieber nicht mehr bändigen und fuhr unter sie, daß die Herde in alle Richtungen auseinanderlief und den Angriff der Wölfe vereitelte. Die überraschten und erbosten Wölfe reizten Ayla zum Lachen, doch gab sie
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