Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
dabei an ihr Totem. Schließlich war es der Höhlenlöwe, der sie ursprünglich einmal zur Jagd gebracht hatte. Zumindest hatte Creb das gesagt. Aber was für einen anderen Grund sollte es sonst dafür geben, daß eine Frau mit der von ihr gewählten Waffe tüchtiger wurde als irgendein Mann? Ihr Totem sei zu stark für eine Frau – es verleihe ihr männliche Züge, hatte Brun gemeint. Ayla hoffte, daß ihr Totem ihr auch diesmal wieder Glück brachte.
Das Zwielicht verging, es wurde dunkel, und Ayla ging bis an die Biegung des Flusses, wo sie sah, wie die Pferde sich für die Nacht zurechtstellten. Sie nahm den flachen Knochen und das Zeltfell und lief durch das hohe Gras, bis sie an die Schneise gelangte, durch welche die Pferde kamen, wenn sie morgens zur Tränke hinunterwollten an den Fluß. Das grüne Laub sah im schwindenden Tageslicht grau aus, und die weiter entfernten Bäume bildeten schwarze Silhouetten vor dem schimmernden Himmel. In der Hoffnung, daß Mondlicht durch die Baumkronen fallen und ihr gestatten möge, etwas zu sehen, legte sie das Zelt auf den Boden und begann zu graben.
Die oberste Schicht war hart, doch nachdem sie einmal hindurch war, wurde das Graben mit der geschärften Knochenschaufel leichter. Jedesmal, wenn sie einen kleinen Berg Erde auf das Fell gehäuft hatte, schleifte sie ihn in den Wald und ließ ihn dort heruntergleiten. Das Loch wurde tiefer. Sie breitete das Fell auf dem Boden der Grube aus und hievte die Erde damit nach oben. Dabei tastete sie mehr, als daß sie gesehen hätte. Es war Knochenarbeit. Nie zuvor hatte sie allein eine Grube ausgehoben. Die großen Kochgruben, die mit Feldsteinen ausgekleidet worden waren und dazu dienten, ganze Tiere zu rösten, waren immer das Gemeinschaftswerk aller Frauen gewesen. Dabei mußte diese Grube noch tiefer und länger sein als die Feuerstellen des Clans.
Sie hatte die Grube etwa hüfthoch ausgehoben, da fühlte sie Wasser, und ihr ging auf, daß sie nicht in so großer Nähe des Flußes hätte graben sollen. Der Boden füllte sich rasch mit Wasser. Sie stand bis zu den Knöcheln im Schlamm, ehe sie es aufgab, hinauskletterte und beim Heraushieven des Fells auch noch eine Wand zum Einstürzen brachte.
Hoffentlich ist das Loch tief genug, dachte sie. Es muß einfach gehen – denn je tiefer ich grabe, desto mehr Wasser kommt herein. Sie blickte zum Mond hinauf und war überrascht, wie spät es bereits war. Sie mußte schnell arbeiten, um fertigzuwerden; folglich konnte sie nicht, wie ursprünglich geplant, jetzt eine kleine Pause einlegen.
Sie lief dort hin, wo sie Strauchwerk und Bäume aufgeschichtet hatte, stolperte über eine Wurzel, die sie nicht gesehen hatte, und schlug schwer hin. Das ist nicht der geeignete Augenblick, um unvorsichtig zu sein, dachte sie und rieb sich das Schienbein. Knie und Handflächen schmerzten sie, und sie war sich sicher, daß das, was klebrig an ihrem Bein heruntersickerte, Blut war, obwohl sie es nicht sehen konnte.
Unversehens ging ihr auf, wie verletzbar sie war, und einen Moment ergriff sie Panik. Was, wenn ich mir das Bein breche? Es ist niemand da, der mir hilft – falls irgendwas passiert. Was mache ich in stockfinsterer Nacht hier draußen? Ohne Feuer? Was geschieht, falls ein Tier mich anfällt? Ihr stand noch lebhaft vor Augen, wie einmal ein Luchs sie angesprungen hatte, griff nach ihrer Schleuder und bildete sich ein, glühende Augen in der Nacht zu sehen.
Ihre Waffe hing jedoch sicher an ihrem Leibriemen. Das gab ihr neuen Mut. Ich bin bereits tot oder soll es jedenfalls sein. Wenn mir etwas zustößt, geschieht das eben. Es hat keinen Sinn, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. Wenn ich mich nicht beeile, ist es morgens, ehe ich fertig bin.
Sie fand ihren Haufen Gestrüpp und schleifte die kleinen Bäume zur Grube. Zwar konnte sie die Pferde nicht allein umzingeln, hatte sie überlegt, und ausganglose Schluchten gab es hier auch nicht, doch eine plötzliche Eingebung sagte ihr, wie sie es schaffen konnte. Es handelte sich dabei um einen genialen Einfall, für das ihr Gehirn – jenes Gehirn, das sie weit mehr vom Clan unterschieden hatte als ihre äußere Erscheinung – besonders geeignet war. Wenn es keine Schluchten im Tal gab, dachte sie – vielleicht kann ich eine machen.
Es tat nichts, daß dieser Gedanke schon von anderen gedacht worden war – für Ayla war er neu. Gleichwohl sah sie darin auch keine umwälzende Erfindung, sondern nichts weiter als eine kleinere
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