Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Beute mit Zähnen und Klauen zu Fall zu bringen. Doch Ayla hatte weder Fänge noch Tatzen, noch war sie eine Kurzstreckenläuferin wie die Raubkatzen. Sie konnte noch nicht einmal besonders sicher mit den Speeren umgehen, dazu waren diese viel zu lang und schwer mit der Hand zu packen. Trotzdem – sie mußte eine Möglichkeit finden.
Es war die Nacht des Neumonds, als ihr endlich der Gedanke kam, wie es eigentlich klappen müßte. Sie dachte oft an die Clans-Treffen, die stattfanden, wenn der Mond der Erde den Rücken zukehrt und die ferneren Bereiche des Raums in seine Helligkeit tauchte. Das Fest des Höhlenlöwen wurde stets bei Neumond abgehalten.
Sie dachte an die Jagdspiele, die von den verschiedenen Clans vorgeführt worden waren. Broud hatte für ihren Clan den aufregenden Jagd-Tanz angeführt und augenscheinlich gemacht, wie ein Mammut mit Hilfe von Feuerbränden in eine ausganglose Schlucht hineingetrieben worden war; damit hatten sie alle anderen Clans ausgestochen. Doch die Darstellung des gastgebenden Clans – sie hatten eine Fallgrube auf dem Wechsel eines Wollhaarnashorns gegraben, dieses dann eingekreist und in die Falle hineingescheucht – hatte diesem beim Wettbewerb einen guten zweiten Platz eingetragen. Wollhaarnashörner waren unberechenbar und galten als äußerst gefährlich.
Am nächsten Morgen sah Ayla nach, ob die Pferde da wären, aber sie begrüßte sie nicht wie sonst jeden Morgen. Inzwischen hatte sie gelernt, die einzelnen Tiere der Herde zu unterscheiden. Sie betrachtete sie als gute Gesellschaft, fast als Freunde; trotzdem konnte sie nicht anders. Schließlich ging es ums Überleben.
In den folgenden Tagen brachte Ayla den größten Teil ihrer Zeit damit zu, ihre Weidebewegungen zu beobachten; festzustellen, wo sie normalerweise zur Tränke gingen, wo sie mit Vorliebe grasten und wo sie die Nächte verbrachten. Und während sie die Herde beobachtete, nahm ein Plan in ihrem Kopf Gestalt an. Sie machte sich Gedanken über die Einzelheiten der Ausführung, bemühte sich, an alle Möglichkeiten zu denken, und machte sich schließlich ans Werk.
Es kostete sie einen ganzen Tag, kleine Bäume und Sträucher zu fällen, diese fast bis zum Fluß hinunterzuschleifen und sie in der Nähe einer Schneise aufzuhäufen. Insbesondere sammelte sie harzreiche Rinde von Tannen und Fichten und stocherte mit ihrem Grabstock in alten verrotten Stubben nach harten Reststümpfen, die rasch Feuer fingen, und zupfte Büschel trockenes Gras aus. Am Abend schnürte sie die Reststümpfe mit Harzbrocken und trockenem Gras zusammen, um Fackeln herzustellen, die rasch brannten und viel Rauch von sich gaben.
Am Morgen des Tages, da es losgehen sollte, holte sie ihr Fellzelt und das Auerochsenhorn hervor. Dann kramte sie in dem Haufen am Fuß der Wand nach einem flachen, kräftigen Knochen und kratzte eine Seite so lange, bis er spitz zulief. Sodann holte sie jede Schnur und jeden Riemen herbei, den sie finden konnte, riß Lianen von den Bäumen und stapelte all dies am Steinufer. Sie zog ganze Ladungen Treibholz auf den Strand, um genügend Brennmaterial zur Verfügung zu haben.
Gegen Abend war alles fertig, und Ayla lief bis zur vorspringenden Wand am Ufer auf und ab und behielt die Bewegungen der Herde im Auge. Beklommen beobachtete sie, daß sich im Osten einige Wolken bildeten, und hoffte, sie würden nicht weiterziehen und das Mondlicht verdunkeln, auf das sie zählte. Sie kochte sich einige Körner und pflückte ein paar Beeren, brachte jedoch nicht viel hinunter. Immer wieder nahm sie die Speere zur Hand, um damit zu üben, und legte sie wieder hin.
Im letzten Augenblick arbeitete sie sich noch durch den Stapel Treibholz und Knochen hindurch, bis sie den Oberschenkelknochen eines Hirsches fand, der eine gutausgebildete Gelenkverdickung aufwies. Mit aller Macht schlug sie damit gegen den Stoßzahn eines Mammuts und zuckte auf beim Rückprall, der ihr durch den ganzen Arm ging. Der lange Knochen war unbeschädigt und gab eine gute und schlagkräftige Keule ab. Der Mond ging auf, als die Sonne noch nicht untergegangen war. Ayla wünschte, sie wüßte mehr über Jagdzeremonien, von denen Frauen jedoch stets ausgeschlossen gewesen waren. Frauen brachten Unglück. Mir selbst habe ich nie Unglück gebracht, dachte sie; allerdings habe ich bis jetzt auch noch nie versucht, ein großes Tier zu jagen. Wenn ich doch nur etwas wüßte, was Glück bringt. Unwillkürlich griff sie nach ihrem Amulett und dachte
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