Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Windkanäle der Herdstellen hereinfuhr und durch die teilweise geöffneten Rauchlöcher gedämpftes Stöhnen vernehmen ließ. Ganz allmählich, so daß keinem auffiel, wann es denn eigentlich eingesetzt hatte, wurde aus dem ächzenden Wind ein eintöniges Gesinge, dann ein rhythmischer Sang. Während die Versammelten einfielen und die wabernden Töne mit natürlichen Harmonien Raum greifen ließen, hob der alte Schamane an, wiegende und schaukelnde Tanzbewegungen zu vollführen. Bald unterstrich die hallende Trommel und das Klirren einer Rassel, die aus mehreren zusammengehaltenen und geschüttelten Armbändern zu bestehen schien, den Rhythmus.
Plötzlich ließ Mamut den Umhang fallen und stand splitternackt vor den Versammelten. Er hatte keine Taschen zur Verfügung, keine Ärmel, keine geheimen Falten, etwas darin zu verstecken. Unmerklich schien er vor ihren Augen zu wachsen und seine durchsichtige schimmernde Gegenwart den Raum auszufüllen. Ayla zwinkerte; sie wußte, daß der Schamane sich nicht verändert hatte. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie die vertraute Gestalt des alten Mannes mit der schlaffen Haut und den langen, dünnen, knochigen Armen und Beinen erkennen, obwohl das nicht ganz einfach war.
Er schrumpfte wieder auf seine normale Größe zusammen, schien jedoch die schimmernde Gegenwart geschluckt oder sich sonst irgendwie einverleibt zu haben, so daß diese ihn mit einem Schimmer umgab, der ihn überlebensgroß zu machen schien. Er hielt ihnen die Hände hin, die Handflächen nach oben. Sie waren leer. Er klatschte einmal in die Hände, legte sie dann zusammen. Er schloß die Augen und stand zuerst ganz still da, doch dann fing er an zu zittern, gleichsam als stemmte er sich gegen eine übergroße Macht. Langsam und unter großen Mühen zog er die Hände auseinander. Eine schwarze amorphe Gestalt erschien zwischen ihnen, und mehr als einen der Zuschauer überlief es eiskalt. Diese Gestalt weckte ein unsägliches Gefühl, den Geruch des Bösen; von etwas Verabscheuungswürdigem, Abscheulichem und Erschreckendem. Ayla merkte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten, und sie hielt die Luft an.
Als Mamut die Hände wieder auseinandernahm, wuchs die Gestalt. Der säuerliche Geruch der Angst stieg von der Gruppe der Sitzenden auf. Alle saßen gerade aufgerichtet da, verrenkten den Hals, sangen mit klagender Intensität, und die Spannung, die in der Erdhütte herrschte, wurde fast unerträglich. Die Gestalt verdunkelte sich, blähte sich, zuckte mit eigenem Leben oder vielmehr dem, was das Gegenteil von Leben war. Der alte Schamane spannte seinen ganzen Körper an und zitterte vor Kraftanstrengung. Ayla fürchtete um ihn und konzentrierte sich ganz auf ihn allein.
Völlig unvermittelt und ohne jede Vorwarnung fühlte Ayla sich plötzlich hineingezogen und war unversehens zusammen mit Mamut, in seinem Kopf oder in seinen Augen. Sie erkannte die Gefahr ganz deutlich, begriff, was sie bedeutete – und war erschrocken. Er beherrschte etwas, das Worte nicht auszudrücken vermochten, das nicht zu verstehen war. Mamut hatte sie hereingezogen, einerseits, um sie zu beschützen, und andererseits, damit sie ihm helfe. Während er damit rang, es zu beherrschen, war sie bei ihm, erfuhr und lernte gleichzeitig. Während er die Hände mit Gewalt wieder zusammenbrachte, wurde die Gestalt kleiner, und sie konnte sehen, daß er sie dorthin zurückdrückte, wo sie herkam. Ein lautes Krachen, einem Donnerschlag gleich, dröhnte in ihrem Geist, und seine Hände kamen wieder zusammen.
Es war fort. Mamut hatte das Böse mit Gewalt vertrieben, und Ayla wurde sich bewußt, daß Mamut andere Geister aufgerufen hatte, ihm zu helfen, die Gefahr niederzuringen. Sie ahnte unbestimmte Tiergestalten, Schutzgeister, das Mammut und den Höhlenlöwen, vielleicht sogar den Höhlenbären, Ursus selbst. Dann war sie wieder da, saß auf einer Matte und schaute den alten Mann an, der einfach wieder Mamut war. Körperlich war er erschöpft, aber geistig waren seine Fähigkeiten geschärft und durch den Kampf, bei dem ein Wille gegen den anderen gestanden hatte, feinfühliger geworden. Auch Ayla schien klarer zu sehen, und sie spürte, daß die Schutzgeister immer noch anwesend waren. Sie besaß inzwischen Übung genug, um zu erkennen, daß es ihm darum gegangen war, alle möglicherweise noch vorhandenen bösartigen Einflüsse auszuschalten, die ihrer Zeremonie gefährlich werden könnten. Sie würden von dem Bösen angezogen werden, das
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