Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
pflückte sie Beifußblüten, die ein gutes Gegenmittel für alle möglichen Gifte waren.
Sie freute sich, als sie leuchtend gelbe Ringelblumen fand, die heilsam und antiseptisch waren und bewirkten, daß die Stiche nicht mehr schmerzten; auch hielten sie Insekten ab, wenn man sich mit einem starken Aufguß wusch. Und an einem sonnigen Waldrand fand sie wilden Majoran, der nicht nur bei äußerlicher Anwendung ein gutes Abwehrmittel gegen Insekten war; wenn man ihn als Tee trank, verlieh er dem Schweiß ein scharfes Aroma, das Kriebelmücken, Flöhe und die meisten Fliegen abstieß. Sie versuchte sogar, die Pferde und Wolf mit dem Tee zu tränken, wußte aber nicht, wieweit ihr das gelungen war.
Am späten Vormittag waren sie wieder unterwegs, und die Veränderungen, die Ayla bereits früher festgestellt hatte, traten immer deutlicher hervor. Sie sahen weniger Sumpfgebiete und mehr Wasser mit weniger Inseln. Der nördliche Arm des Deltas verlor sein Netzwerk aus vielfach gewundenen Wasserläufen und wurde zu einem Strom. Dann vereinigten sich der nördliche und einer der mittleren Arme des großen Deltas; das Flußbett wurde doppelt so breit und rührte eine gewaltige Menge fließenden Wassers. Ein kurzes Stück weiter vergrößerte sich der Fluß abermals, als der südliche Arm, der sich bereits mit dem zweiten der mittleren Arme vereinigt hatte, einfloß. Damit hatten alle vier Arme in einem einzigen, tiefen Bett zusammengefunden.
Der große Strom hatte auf seinem Weg durch den Kontinent Hunderte von Nebenflüssen und das Schmelzwasser von zwei Bergketten mit eisbedeckten Gipfeln in sich aufgenommen; doch weiter im Süden hatten die granitenen Überreste uralter Gebirge ihm den Weg zum Meer versperrt. Schließlich hatte das harte Muttergestein unter dem Druck des anströmenden Wassers widerstrebend ein wenig nachgegeben. Der Fluß, in einen schmalen Durchgang eingezwängt, hatte auf einer kurzen Strecke seine sämtlichen Randgewässer eingesammelt, bevor er eine scharfe Biegung machte und sich dann durch das gewaltige Delta in das Binnenmeer ergoß.
Für Ayla war es das erste Mal, daß sie den mächtigen Fluß in seiner ganzen Großartigkeit erblickte, und Jondalar, der bereits in dieser Gegend gewesen war, hatte ihn aus einer anderen Perspektive gesehen. Wie gebannt genossen sie den Anblick. Die von Wasser bedeckte Fläche war so gewaltig, daß es eher wie ein fließendes Meer aussah als wie ein Fluß, und die gekräuselte Oberfläche verriet kaum etwas von der in ihren Tiefen verborgenen Kraft.
"Das ist der Große Mutter Fluß", sagte Jondalar.
Er hatte ihn schon einmal in ganzer Länge bereist und wußte, welch weiten Weg er hinter sich hatte, kannte die Landschaften, die er durchfloß. Er wußte auch, wie lang die Reise war, die noch vor ihnen lag. Und obwohl sie nicht voll und ganz begriff, was das zu doch, daß der gewaltige, tiefe, mächtige Große Mutter Fluß an dieser Stelle, am Ende seiner langen Reise, zum letztenmal an einem Ort vereinigt, hier seinen Höhepunkt erreicht hatte; größer als hier würde er nirgendwo sein.
Sie setzten ihre Reise stromaufwärts fort, ließen das feuchtwarme Delta hinter sich und mit ihm viele der Insekten, die sie geplagt hatten, und dann stellten sie fest, daß sie auch die offene Steppe hinter sich ließen. An die Stelle des Graslandes und der flachen Marschen trat hügeliges Gelände mit ausgedehnten Wäldern und grünen Wiesen.
Im Schatten der lichten Wälder war es kühler. Das war eine so willkommene Abwechslung, daß sie, als sie an einen großen See kamen, an den eine herrlich grüne, von Bäumen gesäumte Wiese angrenzte, versucht waren, haltzumachen und ihr Lager aufzuschlagen, obwohl es erst früher Nachmittag war. Sie ritten an einem Bach entlang auf ein sandiges Ufer zu, aber als sie näherkamen, ließ Wolf ein tiefes, kehliges Knurren hören, sträubte die Nackenhaare und ging in Angriffsstellung. Ayla und Jondalar ließen den Blick schweifen und versuchten herauszufinden, was ihn beunruhigte.
"Ich kann nichts entdecken", sagte Ayla, "aber hier muß es irgend etwas geben, das Wolf nicht gefällt."
Jondalar warf noch einen Blick auf den einladenden See. "Für ein Nacht-Lager ist es ohnehin zu früh. Laß uns weiterreiten", sagte er, wendete Renner und schlug wieder die Richtung zum Fluß ein. Wolf blieb eine Weile zurück, dann holte er sie ein.
Als sie durch die bewaldete Landschaft ritten, war Jondalar doch recht froh, daß sie nicht schon
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