Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Land vor ihnen hatte aufgehört zu sein. Sie waren fast über den Rand eines Abgrunds getreten. Jondalar spürte, wie sein Magen sich zusammenzog, als er den Steilhang hin-unterschaute; aber er war überrascht, weit unten ein flaches, grünes, von einem Fluß durchzogenes Feld zu entdecken.
Der Grund großer Schlundlöcher war gewöhnlich mit einer dicken Bodenschicht bedeckt, den unlöslichen Kalksteinresten; und einige der tiefen Schlundlöcher gingen ineinander über und bildeten große zusammenhängende Landflächen tief unter der normalen Erdoberfläche. Da wohl fruchtbarer Boden als auch
Wasser vorhanden waren, entwickelte sich häufig, wie auch hier, eine reiche Vegetation.
"Jondalar, etwas stimmt nicht mit dieser Gegend", sagte Ayla. "Hier oben ist es so trocken und steinig, daß kaum Leben gedeiht; und dort unten liegt eine herrliche Wiese mit Bäumen und einem Fluß, die aber niemand erreichen kann. Jedes Tier, das den Versuch wagte, würde abstürzen. Es ist alles verkehrt."
"Es ist tatsächlich alles verkehrt. Und vielleicht hast du recht, Ayla. Vielleicht war es dies, vor dem Jeren uns warnen wollte. Für Jäger ist hier nicht viel zu holen. Und es ist gefährlich. Ich habe noch nie von einem Land gehört, in dem man ständig befürchten muß, ins Leere zu treten, wenn man auf festem Boden zu gehen glaubt."
Ayla beugte sich nieder, nahm Wolfs Kopf in beide Hände und legte ihre Stirn gegen seine. "Danke, Wolf, daß du uns gewarnt hast", sagte sie. Wolf fiepte freundlich und leckte ihr mit der Zunge über das Gesicht.
Sie drehten sich um und rührten die Pferde um das große Loch herum, ohne viel miteinander zu sprechen. Ayla wußte nicht einmal mehr, weshalb sie sich überhaupt gestritten hatten. Aber sie nahm sich vor, sich nie wieder so ablenken zu lassen, daß sie nicht mehr sah, wohin sie trat.
Sie zogen weiter nach Norden. Der Fluß zu ihrer Linken begann durch eine Schlucht zu fließen, die zunehmend tiefer wurde. Jondalar fragte sich, ob sie ihren Weg am Ufer oder auf dem Plateau oben verfolgen sollten; doch er war froh, daß sie bisher dem Wasserlauf gefolgt waren und nicht versucht hatten, ihn zu überqueren. Die großen Flüsse in Karstregionen neigten dazu, sich durch steile Kalksteinschluchten zu schneiden; sie bildeten nicht die breiten Täler mit sanft abfallenden Hängen und Schwemmebenen wie die Ströme der Tiefebene. So war es schwierig, sie als Reiserouten zu benutzen; aber noch schwieriger war es, sie zu durchqueren.
Jondalar erinnerte sich an die große Schlucht weiter im Süden, in der es auf weite Strecken keinen Uferrand gab, auf dem man gehen konnte; er entschloß sich deshalb, auf dem Plateau zu
bleiben, als sie ihren Weg fortsetzten, sah er zu seiner Erleichterung, daß sich ein dünner Wasserfall über die Fels-wand in den Fluß ergoß. Obwohl sich der Wasserfall auf der anderen Seite des Flusses befand, bedeutete das, daß auf dem Plataeu Wasser gab, wenn auch das meiste davon in den Rissen des Karstbodens versickerte.
Aber Karst war auch eine Landschaft mit zahlreichen Höhlen. Es gab tatsächlich so viele davon, daß Ayla und Jondalar - zusammen mit den Pferden - die nächsten Nächte in ihrem Schutz verbrachten, ohne das Zelt aufzuschlagen. Nachdem sie einige erkundet hatten, begannen sie ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Felsöffnungen zum Lagern geeignet war-en.
Obwohl die mit Wasser gefüllten Höhlen tief unter der Erdoberfläche immer größer wurden, blieben die meisten zugänglichen Höhlen über dem Boden verhältnismäßig klein. Einige von ihnen waren nur bei trockenem Wetter begehbar, weil sie bei schweren Regenfällen volliefen. Andere standen ständig unter Wasser. Die Reisenden hielten nach trockenen Höhlen Ausschau, die gewöhnlich etwas erhöht lagen; doch Wasser, in Verbindung mit dem Kalkstein, war das Instrument, das sie alle geformt hatte.
Das langsam durch die Höhlendecke sickernde Regenwasser nahm den gelösten Kalkstein in sich auf. Jeder Tropfen des kalkhaltigen Wassers, selbst die sich in winzigen Tröpfchen niederschlagende Luftfeuchtigkeit, war mit Kalziumkarbonat gesättigt, das sich im Inneren der Höhle ablagerte. Gewöhnlich schneeweiß, konnte das gehärtete Mineral durchsichtig werden, sich zu Grau verfärben oder mit Rot- und Gelbtönen geädert sein. Auf dem Boden und an den Wänden setzte sich eine dicke Travertinschicht ab. Steine Eiszapfen bildeten sich, die an der Decke hingen und mit jedem Wassertropfen ihren
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