Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Frühjahrsschmelze. Du hast den Gletscher überquert, S'Armuna, und weißt, daß es nur im Win-ter möglich ist. Und ich habe Freunden von den Losadunai versprochen, sie auf dem Rückweg zu besuchen. Auch wenn wir nicht lange bleiben können, ist es eine gute Gelegenheit, uns auf die Überquerung des Gletschers vorzubereiten."
S'Armuna nickte. "Dann wird die Aussicht auf die Feuer-zeremonie den Abschied von euch leichter machen. Viele von uns haben gehofft, daß ihr bleiben würdet, und alle werden euch vermissen."
"Ich hatte mich auf die Feuerzeremonie gefreut", sagte Ayla, "und auf Cavoas Kind. Aber Jondalar hat recht. Es ist Zeit für uns, zu gehen."
Jondalar beschloß, die Werkzeuge für S'Armuna sofort herzustellen. Ganz in der Nähe hatte er einen Vorrat an gutem Feuerstein angelegt, der sich für Äxte und andere Holz-fällerwerkzeuge eignete. Ayla ging in ihre kleine Hütte, um zu packen und nachzusehen, was sie sonst noch brauchen könnten. Sie hatte alles zurechtgelegt, als sie am Eingang ein Geräusch hörte. Sie blickte auf und sah Cavoa.
"Störe ich dich, Ayla?" fragte sie.
"Nein. Komm herein."
Die junge, hochschwangere Frau trat ein und machte es sich auf der Kante einer Schlafstatt Ayla gegenüber bequem. "S'Armuna hat mir von eurer Abreise erzählt."
"Ja, morgen oder übermorgen."
"Ich dachte, ihr würdet bis zur Feuerzeremonie bleiben."
"Ich wollte es. Aber Jondalar ist unruhig, weil wir vor dem Frühling einen Gletscher überqueren müssen."
"Das wollte ich dir nach der Feuerzeremonie geben." Cavoa zog ein kleines Lederpäckchen aus ihrem Kittel. "Es darf nur nicht naß werden."
Das Päckchen enthielt den kleinen Kopf einer Löwin, kunstvoll aus Lehm geformt. "Cavoa! Das ist schön. Mehr als schön. Das ist der Geist einer Höhlenlöwin. Ich wußte nicht, daß du so geschickt bist."
Die junge Frau lächelte. "Gefällt es dir?"
"Bei den Mamutoi kannte ich einen Elfenbeinschnitzer, der ein großer Künstler war. Er lehrte mich, gemalte und geschnitzte Dinge zu betrachten, und dies hier hätte ihm sehr gefallen", sagte Ayla.
"Ich habe auch geschnitzte Figuren aus Holz, Elfenbein und Geweih. So lange ich zurückdenken kann, habe ich so etwas gemacht. Daher bot mir S'Armuna an, mich zu unterrichten. Sie war gut zu mir. Sie hat versucht, uns zu helfen. Sie war auch gut zu Omel. Sie ließ ihm sein Geheimnis und stellte nie Forderungen, wie andere es getan hätten. Viele Leute waren so neugierig." Cavoa senkte den Kopf und kämpfte mit den Tränen.
"Du vermißt deine Freunde, nicht wahr?" fragte Ayla sanft. "Es muß schwer für Omel gewesen sein, ein Geheimnis dieser Art zu bewahren."
"Omel mußte es tun."
"Wegen Brugar? S'Armuna meinte, er hätte Omel bedroht."
"Nein, nicht wegen Brugar oder Attaroa. Ich mochte Brugar nicht. Aber er fürchtete Omel, glaube ich, mehr als Omel ihn, und Attaroa kannte den Grund."
Ayla glaubte zu spüren, was Cavoa bedrückte. "Und du kanntest ihn auch, nicht wahr?"
Die junge Frau runzelte die Stirn. "Ja", flüsterte sie und sah Ayla in die Augen. "Ich hatte gehofft, du würdest hier sein, wenn die Zeit gekommen ist. Ich möchte, daß alles gut geht mit meinem Baby, nicht wie bei..."
Sie brauchte nichts mehr zu sagen oder näher zu erklären. Cavoa fürchtete, daß ihr Kind mißgebildet geboren werden könnte, und wenn sie das Übel beim Namen nannte, verstärkte sie nur seine Macht.
"Nun, noch gehe ich ja nicht, und wer weiß? Es scheint mir, daß dein Kind jederzeit kommen kann", sagte Ayla. "Vielleicht sind wir dann noch hier."
"Hoffentlich. Ihr habt soviel für uns getan. Ich wünschte nur, ihr wäret gekommen, bevor Omel und die anderen ..."
Ayla sah Tränen in ihren Augen. "Ich weiß, du vermißt deine Freunde. Aber bald wirst du ein Kind haben, ganz für dich allein. Hast du schon einen Namen ausgesucht?"
"Bisher noch nicht. Es hätte kaum einen Sinn gehabt, über einen Jungennamen nachzudenken, und ich wußte nicht, ob ich einen Namen für ein Mädchen aussuchen durfte. Wenn es ein Junge wird, könnte ich ihn vielleicht nach meinem Bruder nennen, oder nach einem anderen Mann, den ich gekannt habe. Wenn es aber ein Mädchen wird, werde ich es nach S'Armuna nennen. Sie half mir - ihn zu sehen ..." Ein qualvolles Schluchzen unterbrach ihre Worte.
Ayla nahm die junge Frau in die Arme. Über Kummer mußte man sich aussprechen. Dieses Lager war voll schmerzlicher Erinnerungen, von Leid, das ausgesprochen werden mußte. Als ihre Tränen
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