Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
und sah traurig und bekümmert aus.
"Es gibt gute und schlechte Menschen, Ayla, und jeder von uns hat gute und schlechte Seiten", sagte Jondalar und runzelte die Stirn. "Aber die meisten Menschen sind anständig und helfen einander. Sie wissen, daß jeder einmal Hilfe brauchen kann, und wollen gut und freundlich sein."
"Aber es gibt welche, die so wahnsinnig sind wie Attaroa", meinte Ayla.
"Das stimmt." Jondalar mußte es zugeben. "Und manche geben nur, was sie müssen. Aber das macht sie noch nicht schlecht."
"Und doch kann ein schlechter Mensch bei guten Menschen das Schlimmste an die Oberfläche bringen, wie Attaroa bei S'Armuna und Epadoa."
"Ich denke, wir können nur versuchen, die Bösen und Grau-samen davon abzuhalten, zuviel Schaden anzurichten. Viel-leicht sollten wir uns glücklich schätzen, daß es nicht mehr von ihrer Sorte gibt."
"Attaroa kann meine Meinung über die Menschen, die ich kenne, nicht ändern, und ich glaube, du hast, was die Mehrheit angeht, recht, Jondalar, und doch hat sie mich mißtrauischer und vorsichtiger gemacht."
"Vorsicht kann nicht schaden, aber du mußt den Leuten eine Chance geben, ihre guten Seiten zu zeigen, bevor du schlecht von ihnen denkst."
Das nördliche Hochland hielt mit ihnen Schritt, als sie nach Westen weiterzogen. Die Silhouetten windgeformter Immergrüne auf den runden Kuppen und flachen Plateaus des
Massivs zeichneten sich vor dem Himmel ab. Der Fluß zerteilte sich wieder in mehrere Kanäle, die eine flache Talmulde durch-zogen, und floß dann in nordwestlicher Richtung weiter.
Sie schlugen in der Talmulde ihr Lager auf. In diesem flußnahen Tal fielen unter den Fichten, Tannen, Kiefern und Lärchen die weiche, graue Rinde und die nackten Äste der Buchen auf; die Gegend lag geschützt genug, um ein paar großblättrige Laubbäume gedeihen zu lassen. In der Nähe der Bäume fanden sie eine kleine Mammutherde in sichtlicher Auf-regung und Verwirrung. Ayla näherte sich den Tieren, um zu sehen, was los war.
Ein Mammut lag am Boden, ein alter Riese mit enormen Stoß-zähnen, die sich vorne kreuzten. War das dieselbe Gruppe, die das Eis aufgebrochen hatte? Konnte es in der gleichen Region zwei so alte Mammuts geben? Jondalar kam hinzu.
"Ich fürchte, er stirbt. Wenn ich bloß etwas für ihn tun könnte", sagte Ayla.
"Er hat vermutlich keine Zähne mehr. Wenn das einmal eintritt, kann man nur noch eines tun - bei ihm bleiben und ihm Gesellschaft leisten", sagte Jondalar.
"Vielleicht kann niemand von uns mehr erwarten", sagte Ayla.
Entsprechend seiner Größe fraß jedes ausgewachsene Mammut täglich große Mengen Nahrung, vor allem dick-stengliges Hochgras und gelegentlich kleine Bäume. Bei solch grober Kost waren die Zähne entscheidend. Sie waren so wichtig, daß die Lebenszeit eines Mammuts von seinen Zähnen abhing.
Die Herde spürte das Ende herannahen und war gewohnt, die letzten Tage der Alten mit ihnen zu teilen. Die Mammuts sorgten für ihre Alten genauso liebevoll wie für ihre Neugeborenen; sie drängten herbei und versuchten, den Gefallenen zum Aufstehen zu bewegen. Wenn alles vorüber war, dann begruben sie den toten Ahnen unter Erde, Gras, Laub oder Schnee. Von den Mammuts hieß es, daß sie auch andere tote Tiere, ja selbst Menschen bestatteten.
Ayla und Jondalar und ihre vierbeinigen Reisegefährten merkten, daß der Weg steiler und mühsamer wurde, als sie die Tiefebene und die Mammuts hinter sich ließen. Sie näherten sich einer Schlucht. Ein Ausläufer des uralten, nördlichen Grundgebirges hatte sich zu weit nach Süden gewagt und war durch die Wasserarme des Flusses gespalten worden. Der Strom rauschte durch den Engpaß, der aufgrund der starken Strömung nicht zugefroren war, aber Eisschollen mit sich führte. Der Anblick fließenden Wassers mutete nach so viel Eis seltsam an. Vor den hochgipfligen Felswänden im Süden lagen Tafelberge, deren weite, obere Plateaus dichte Koniferenwälder trugen. Die dünnen Äste der Laubbäume und Büsche hatten sich einen weißen Überzug aus gefrorenem Regen zugelegt, der jeden Zweig und Ast deutlich modellierte - eine Winter-schönheit, die Ayla in ihren Bann schlug.
Der Weg führte immer höher hinauf, die Luft war kalt, schneidend und klar; selbst vom bewölkten Himmel schneite es nicht. Mit zunehmendem Winter nahm der Niederschlag ab. Die einzige Feuchtigkeit in der Luft war der warme Atem von Menschen und Tieren.
Jedesmal wenn sie ein zugefrorenes Nebenflußtal passiert
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