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Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen

Titel: Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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die Zeichnung, die vermutlich einen Menschen darstellte.
»Das fragt jeder«, antwortete er. »Niemand weiß es. Die Alten haben es gezeichnet.« Er wandte sich an die Erste. »Weißt du etwas darüber?«
»In den Überlieferungen und Legenden der Alten ist nichts Besonderes erwähnt, aber ich kann euch Folgendes sagen«, erwiderte die Erste. »Die Bedeutung der Bilder an einer heiligen Stätte liegt selten auf der Hand. Ihr wisst selbst, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen, wenn ihr in die Welt der Geister reist. Das Wilde kann zahm sein, das Sanftmütige sehr grausam. Wir müssen nicht wissen, was etwas hier drinnen zu bedeuten hat. Uns ist bereits klar, dass es für denjenigen wichtig war, der es an dieser Stelle festgehalten hat, sonst wäre es nicht hier.«
»Die Menschen fragen immer danach. Sie wollen es erfahren«, entgegnete der junge Mann. »Sie raten und wollen wissen, ob sie mit ihrer Vermutung richtigliegen.«
»Die Menschen sollten sich bewusst sein, dass man nicht immer bekommt, was man haben will«, sagte die Erste.
»Aber ich würde ihnen gern etwas erzählen.«
»Ich erzähle dir etwas. Das reicht«, erwiderte die Frau.
Obwohl Ayla versucht gewesen war, freute sie sich jetzt, dass nicht sie die Frage des jungen Mannes gestellt hatte. Die Erste sagte immer, man könne sie jederzeit alles fragen, doch Ayla hatte schon zuvor bemerkt, dass ihre Lehrerin Fragestellern das Gefühl vermitteln konnte, alles andere als klug zu sein. Ihr kam der Gedanke, dass zwar jeder ihr eine beliebige Frage stellen, sie aber nicht jede Frage beantworten konnte. Doch als die Erste konnte sie nicht direkt sagen, sie wisse es nicht. Das wollten die Leute nicht von ihr hören, und auch wenn sie die Frage nicht immer beantwortete, log sie nie. Alles, was sie sagte, entsprach der Wahrheit.
Auch Ayla log nicht. Die Kinder des Clans lernten früh, dass ihre Art der Verständigung Lügen nahezu unmöglich machte. Nachdem sie Menschen ihresgleichen kennengelernt hatte, fiel ihr auf, dass die Leute Schwierigkeiten hatten, sich ihre Lügen zu merken, und Ayla schien, dass Lügen sich nicht lohnten. Vielleicht hatte die Erste eine Möglichkeit entwickelt, der Beantwortung einer Frage aus dem Weg zu gehen und den Fragenden so zu verunsichern, dass er seine eigene Klugheit infrage stellte. Unwillkürlich drehte Ayla sich zur Seite und lächelte verhalten, denn sie glaubte, etwas Bedeutsames über die mächtige ältere Frau herausgefunden zu haben.
Inzwischen war der junge Zelandoni weitergegangen und hielt seine Fackeln hoch, um den nächsten Abschnitt zu beleuchten, auf dem zwei Ziegen und ein paar Tupfen zu sehen waren. Dahinter waren zwei weitere Ziegen, Punkte und geschwungene Linien. Einige Tiere, Linien und Tupfen waren rot, andere schwarz. Sie betraten einen kleinen Vorraum mit fünf schwarzen und roten Klecksen, im Hintergrund sahen sie rote Punkte und Linien. Sie verließen die Nische und bogen um eine Ecke. Auf der gegenüberliegenden Wand war eine weitere menschenähnliche Gestalt mit Linien zu sehen, die in sie hinein oder aus ihr heraus führten, insgesamt sieben in alle Richtungen. Die Gestalt war sehr grob skizziert, kaum als Mensch zu erkennen, aber es konnte nichts anderes sein. Zwei Beine waren angedeutet, zwei sehr kurze Arme, sowie ein unförmiger, schwarz umrandeter Kopf.
»Wenn wir in die Mitte dieses Raums gehen, können wir die gesamte Wand sehen, am besten, wenn sich die Lampenträger direkt davorstellen«, sagte der junge Zelandoni.
Alle suchten sich eine Stelle, von der sie die gesamte Darstellung betrachten konnten. Zunächst hörte man das Scharren von Füßen, einige räusperten sich, es wurde gemurmelt und geflüstert, doch kurz darauf trat Stille ein, während sich alle auf die Felswand konzentrierten. Im Ganzen gesehen strahlte der blanke Fels etwas Mystisches aus. Fast schienen sich die Gestalten im Licht der flackernden Flammen und dem dünnen Rauch aus den Lampen zu bewegen, und Ayla hatte den Eindruck, dass die Wände durchsichtig waren, dass sie durch den festen Stein hindurchsah und einen flüchtigen Blick in eine andere Welt erhaschte.
Der Zelandoni führte sie wieder hinaus, deutete auf weitere Stellen an den Wänden, an denen sich Tupfen und andere Spuren befanden. Sie entfernten sich aus dem ausgemalten Bereich der Höhle und näherten sich dem Eingang. Hier ließ das eindringende Tageslicht die Höhle deutlicher erscheinen. Sie sahen die Umrisse der Wände und die Felsbrocken,

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