Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
habe es einmal probiert, und ich werde darauf achten, diesmal nicht zu viel davon zu trinken. Es kann euch der Welt der Geister sehr nahe bringen, aber ich glaube, jeder kann probieren, wenn ihr vorsichtig seid. Eine meiner Gehilfinnen hat sich angeboten, eine größere Menge zu trinken, um für uns als ein Weg hinein, als eine Verbindung zu dienen.«
Der größere Becher wurde herumgereicht, und jeder trank einen kleinen Schluck. Als er zur Ersten kam, roch sie zunächst daran, dann nippte sie, spülte ihren Mund damit und versuchte, die Bestandteile zu unterscheiden. Dann nahm sie einen etwas größeren Schluck und reichte den Becher an Ayla weiter. Diese hatte die Erste genau beobachtet und tat es ihr nach. Das Getränk war sehr stark. Allein der Duft war kräftig und verursachte leichten Schwindel. Der Schluck erfüllte ihren Mund mit einem durchdringenden Geschmack, der nicht nur unangenehm war, doch sie würde das Gebräu nicht tagtäglich wie einen normalen Becher Tee zu sich nehmen wollen. Von dem wenigen, das sie schluckte, fühlte sie sich sofort benommen, und sie wünschte, sie würde die Zutaten kennen.
Nachdem alle probiert hatten, warteten sie, bis die Gehilfin des Siebten den kleinen Becher geleert hatte. Kurz darauf war sie auf den Beinen und schwankte unsicher zum Eingang der heiligen Höhle. Der Siebte stand rasch auf und reichte ihr die Hand, um sie zu stützen. Die anderen Anwesenden aus der Zelandonia folgten ihnen in die heilige Höhle, einige trugen Fackeln. Sie ließen der Ersten mit Ayla und Jonokol den Vortritt. Obwohl der Weg hinein lang war, suchte die Gehilfin zielstrebig den Bereich mit den von großen Tupfen umschlossenen Pferdezeichnungen auf. Einige Fackelträger traten nah an die Wand, um sie zu beleuchten.
Ayla spürte noch immer die Wirkung des kleinen Schlucks und fragte sich, was die Gehilfin, die viel mehr getrunken hatte, wohl empfinden mochte. Die junge Frau trat an das Wandbild und legte beide Hände darauf, dann ging sie noch näher heran und legte die Wange an den rauen Stein, als versuchte sie, hineinzugelangen. Sie begann zu weinen. Der Zelandoni legte ihr den Arm um die Schultern, um sie zu beruhigen. Die Erste ging ein paar Schritte auf sie zu und stimmte das Lied von der Mutter an.
Aus dem Chaos der Zeit, im Dunkel verloren Ward aus wirbelndem Strahl die Mutter geboren, Wird gewahr ihres Seins, sieht des Lebens Wert, Doch die Erdmutter trauert, denn eins ist ihr verwehrt.
Sie ist allein. Will es nicht sein.
Alle hörten zu, und Ayla spürte, wie die Anspannung in ihren Schultern nachließ, die ihr bisher gar nicht aufgefallen war. Die junge Gehilfin hörte auf zu weinen, und nach einer Weile griffen andere die Melodie auf und stimmten ein, als sie an die Stelle kamen, an der die Mutter die Kinder der Erde aus ihrem Leib gebar.
Ein jedes ist anders, und doch voller Leben, Sie laufen und kriechen, schwimmen und schweben. Ihr Geist ist vollendet, die Form vollkommen, Und wird als Urform von nun angenommen.
Nach der Mutter Willen wird die Erde sich füllen.
Die Großen und Kleinen, jedwedes Getier, Mehren der Mutter Freude und bleiben bei ihr, Durchstreifen allein oder mit ihrer Herde Die weiten Gefilde der Urmutter Erde.
Es flieht kein Tier. Sie bleiben bei ihr.
Als die Erste zu Ende gesungen hatte, saß die Gehilfin auf dem Boden vor der Höhlenzeichnung. Andere hatten sich ebenfalls niedergelassen und wirkten ziemlich benommen.
Die Erste trat wieder neben Ayla, und der Siebte kam zu ihnen. Sehr leise sagte er: »Beachtlich, wie dein Gesang alle zur Ruhe gebracht hat.« Dann deutete er auf die Sitzenden und fügte hinzu: »Vermutlich haben sie mehr als einen Schluck getrunken. Einige wollen wohl noch hierbleiben. Ich glaube, ich warte lieber, bis alle bereit sind, zurückzugehen, aber das müsst ihr nicht.«
»Wir bleiben auch noch ein wenig.« Der Ersten war aufgefallen, dass sich noch mehr Menschen setzten.
»Ich hole ein paar Polster«, sagte der Siebte.
Als er zurückkam, wollte auch Ayla Platz nehmen. »Ich glaube, die Wirkung des Tees verstärkt sich«, sagte sie.
»Du hast Recht«, stimmte die Erste zu. »Hast du noch mehr davon?«, fragte sie den Siebten. »Ich würde ihn gern weiter ausprobieren, wenn wir wieder zu Hause sind.«
»Ich kann dir etwas davon mitgeben.«
Als Ayla sich auf das Polster setzte, schaute sie wieder auf die Wandzeichnung. Sie wirkte fast durchsichtig, als könnte man auf die andere Seite blicken. Ayla hatte das Gefühl, dass
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