Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
»Im Grasflusstal sind wir auf ein Rudel Rothirsche gestoßen und haben zwei erlegt. Einen habe ich dortgelassen, das Fleisch dürfte ihnen eine Weile reichen. Den anderen habe ich mitgebracht. Ich dachte, etwas frisches Fleisch könnte willkommen sein. Ich weiß, dass Tiere um diese Zeit knapp werden. Bevor ich aufgebrochen bin, haben wir davon gegessen. Sie sind gut, setzen schon Fett für den Winter an.«
Weitere Angehörige der Neunten Höhle trafen ein, aber auch aus anderen Höhlen. Joharran machte sich mit einigen von ihnen daran, die Schleiftrage abzuladen.
Matagan, Jondalars erster Lehrbursche, kam hinkend, aber doch im Laufschritt, zu ihr und begrüßte sie überschwänglich. »Alle wollten wissen, wann du endlich kommen würdest. Zelandoni meinte, das könnte jederzeit sein, aber mitten am Tag hat niemand mit dir gerechnet«, sagte er. »Jondalar war überzeugt, dass du erst am Abend oder noch später ankommen würdest. Er sagte, du würdest sicher auf deinem Pferd reiten und die Strecke an einem Tag schaffen.«
»Das stimmt. Das hatte ich zumindest vorgehabt, aber bei Jeralda haben mitten in der Nacht die Wehen eingesetzt, und am Vormittag ist das Kind gekommen. Ich wollte aber nicht länger warten, also bin ich am Nachmittag aufgebrochen und habe unterwegs gelagert«, erklärte Ayla und sah sich um. »Wo ist Jondalar? Und Jonayla?«, fragte sie.
Joharran und Proleva warfen sich einen kurzen Blick zu und schauten rasch beiseite. »Jonayla ist mit den anderen Mädchen ihres Alters zusammen«, erwiderte Proleva. »Die Zelandonia haben ihnen eine Aufgabe gegeben. Sie nehmen an einer besonderen Feier teil, die Die, Die Dienen veranstalten.«
»Wo Jondalar ist, weiß ich nicht genau.« Joharran runzelte die Stirn auf die Art, die seinem Bruder so ähnlich war. Dann blickte er über Aylas Schulter hinweg und lächelte. »Aber da ist jemand, der es kaum erwarten kann, dich zu begrüßen.«
Ayla drehte sich um und schaute in dieselbe Richtung wie Joharran. Dort stand ein hünenhafter Mann mit wildem rotem Haar und buschigem rotem Bart. Ihre Augen weiteten sich vor Staunen.
»Talut? Talut, bist du das?«, rief sie und lief auf ihn zu.
»Nein, Ayla, nicht Talut. Ich bin Danug. Aber Talut hat mir aufgetragen, dich an seiner statt fest zu umarmen.« Der junge Mann umfing sie mit seinen starken Armen und schwang sie in die Luft. Ayla fühlte sich zwar nicht direkt zermalmt - Danug hatte schon vor langer Zeit gelernt, seine außerordentliche Kraft behutsam einzusetzen -, aber umfangen, überwältigt, fast erdrückt von der schieren Größe des Mannes. Er war noch ein ganzes Stück größer als Jondalar mit seinen knapp zwei Metern. Seine Schultern waren beinahe so breit wie die Schultern zweier normaler Männer, seine Arme hatten einen ähnlichen Umfang wie ein durchschnittlicher Oberschenkel. Aylas Arme waren nicht lang genug, um seine massige Brust zu umfassen, und obwohl seine Taille vergleichsweise schmal war, wirkten seine muskulösen Schenkel und Waden gewaltig.
Ayla kannte nur einen Mann, der es an Größe mit Danug aufnehmen konnte: Talut, der Mann, mit dem Danugs Mutter verbunden war, der Anführer des Löwenlagers der Mamutoi. Und der junge Mann war womöglich noch größer.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich eines Tages besuchen würde«, sagte er, als er sie wieder absetzte. »Wie geht es dir, Ayla?«
»Ach, Danug.« Tränen traten ihr in die Augen. »Ich freue mich so, dich zu sehen. Wie lange bist du schon hier? Wie bist du hergekommen? Und wie bist du so groß geworden? Ich glaube, du bist noch größer als Talut!« Mühelos wechselte sie ins Mamutoi über, und obwohl Danug sie verstand, wurde die Abfolge ihrer Fragen dadurch nicht logischer. »Das glaube ich auch, aber das würde ich Talut nie zu sagen wagen.«
Beim Klang der Stimme drehte Ayla sich um und sah einen weiteren jungen Mann. Zunächst kam er ihr völlig fremd vor, doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie Ähnlichkeiten mit Menschen, die sie gut kannte. Er sah ein wenig aus wie Barzec, obwohl er größer war als der kleine, stämmige Mann, der mit Tulie verbunden war, der Anführerin des Löwenlagers. Sie war Taluts Schwester und fast ebenso groß wie er. Dieser junge Mann hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit den beiden.
»Druwez?«, sagte Ayla zögernd. »Bist du Druwez?«
»Den Riesen zu erkennen, ist leicht«, sagte der junge Mann und warf Danug ein kurzes Lächeln zu. »Aber ich war mir nicht sicher, ob du mich erkennen
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