Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
nah genug an die nächste Welt bringen musste, um dir ihre Botschaft mitzuteilen. Mag sein, dass die Mischung etwas enthält, das eine Fehlgeburt auslösen könnte, aber vielleicht ging es auch einfach nicht anders. Womöglich hat die Mutter dich dazu veranlasst, an dem Abend einen Tee aus der Mischung zu trinken, damit alles nach ihren Wünschen verlief.«
»Ein solcher Fehler ist mir mit den Kräutern in meinem Beutel noch nie passiert. Ich war unachtsam. So unachtsam, dass ich mein Kind verloren habe.« Es war, als hätte Ayla die Erste gar nicht gehört.
»Eben weil dir solche Fehler nie unterlaufen, musst du davon ausgehen, dass es der Wunsch der Mutter war. Es kommt immer unerwartet, wenn sie jemanden beruft, ihr zu dienen, und wenn man das erste Mal ohne Begleitung die Geisterwelt betritt, ist die Gefahr besonders groß. Viele finden den Weg nie zurück. Einige lassen dort etwas zurück, wie du. Gefährlich ist es immer, Ayla. Selbst wenn man schon sehr oft dort war, weiß man nie, ob man beim nächsten Mal den Rückweg noch findet.«
Ayla schluchzte leise in sich hinein, Tränen glänzten auf ihren Wangen.
»Es ist gut, dass du weinst. Du hast das alles zu lange in dir verschlossen, dabei musst du doch um das Kind trauern.« Die Donier stand auf und ging mit den beiden Bechern in den rückwärtigen Bereich, wo die Verbandhäute aufbewahrt wurden. Als sie zurückkehrte, schenkte sie ihnen beiden Tee nach. »Hier.« Sie reichte Ayla eine weiche Lederhaut und stellte die gefüllten Becher auf den Tisch.
Ayla trocknete sich Augen und Nase, atmete tief durch und trank einen Schluck lauwarmen Tee, um sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Sie hatte ja nicht nur den Verlust des Kindes beweint, obwohl das der Auslöser gewesen war. Offenbar konnte sie nichts mehr richtig machen. Jondalar liebte sie nicht mehr, viele Menschen hassten sie, und sie war so achtlos gewesen, dass sie ihr Kind verloren hatte. Sie hatte Zelandonis Worte zwar gehört, aber nicht richtig in sich aufgenommen, außerdem änderten sie nichts an ihrem Gefühl.
»Vielleicht verstehst du jetzt, weshalb mich diese Wurzeln so interessieren«, sagte die Erste, als sie meinte, Ayla habe sich wieder etwas gefasst. »Wenn die Erfahrung genau überwacht und kontrolliert werden kann, haben wir vielleicht eine weitere Möglichkeit, in die andere Welt zu gelangen, so wie mit der Mischung in dem Beutel und einigen anderen Kräutern, die wir bisweilen verwenden.«
Zunächst hörte Ayla Zelandoni gar nicht. Als die Worte schließlich zu ihr vordrangen, fiel ihr als Erstes ein, dass sie sich gelobt hatte, niemals wieder mit diesen Wurzeln zu experimentieren. Der Mog-ur war zwar fähig gewesen, die Wirkung der berauschenden Substanz zu kontrollieren, aber Ayla war überzeugt, dass sie selbst es nicht konnte. Ihrer Ansicht nach vermochte das nur ein Clan-Mensch mit den ihm eigenen Eigenschaften und dem Clan-Gedächtnis. Sie glaubte nicht, dass ein Angehöriger der Anderen die schwarze Leere jemals würde beherrschen können, ganz gleich, wie gut er beobachtet und bewacht würde.
Ayla wusste, dass die Erste fasziniert war. Auch Mamut war begierig gewesen, mit der besonderen Pflanze zu experimentieren, die nur von den Mog-urs des Clans verwendet wurde, aber nach ihrem gefährlichen gemeinsamen Erlebnis wollte er sie nie wieder nehmen. Er hatte gesagt, er habe Angst, seinen Geist in der lähmenden schwarzen Leere zu verlieren, und er hatte auch sie, Ayla, vor dieser Pflanze gewarnt. In den Tiefen der Grotte hatte sie diese erschreckende Reise zu dem bedrohlichen, unbekannten Ort noch einmal durchlebt und bei ihrer Initiation eindrücklich geschildert, deswegen stand ihr die Erinnerung noch allzu deutlich vor Augen. Und sie wusste, dass selbst ihre verstörende Erinnerung lediglich ein blasser Schatten des tatsächlich Erlebten war.
Doch in ihrer momentanen abgrundtiefen Verzweiflung konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Zu viel war in zu kurzer Zeit passiert, sie hatte keine Ruhe gehabt, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Die Prüfung in der Höhle, bei der sie berufen worden war, und dazu die Fehlgeburt hatten sie sowohl körperlich als auch emotional mitgenommen. Der Schmerz, die Eifersucht und auch die Enttäuschung, Jondalar mit einer anderen Frau anzutreffen, wurden durch das Erlebnis in der Höhle und durch ihren Verlust noch verstärkt. Sie hatte sich auf die vertraute Berührung seiner Hände und die Nähe seines Körpers gefreut, auf die Vorstellung,
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