Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
»Sie sind wirklich gefährlich, und mir ist nicht ganz klar, wie man ein kleines Experiment machen könnte. Ich kenne nur eine Art, sie zuzubereiten.« Bei der Vorstellung wurde ihr unbehaglich.
»Wenn du es für unklug hältst, dann lassen wir es.« Zelandoni wollte die junge Frau nicht noch zusätzlich unter Druck setzen. Nachdenklich trank sie einen Schluck Tee. »Hast du noch den Beutel mit den Kräutern, die wir zusammen probieren wollten? Die von der Zelandoni der Vierundzwanzigsten Höhle?«
»Ja, warte, ich weiß, wo sie sind.« Ayla stand auf und holte den Beutel mit Heilkräutern, die sie an ihrem persönlichen Platz in der Zelandoniahütte aufbewahrte. Sie bezeichnete ihn als ihren Zelandonia-Medizinbeutel; er besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Clan-Medizinbeutel.
Vor einigen Jahren hatte sie sich aus einem ganzen Otterfell einen neuen Beutel im Clan-Stil angefertigt, doch der lag in ihrer Unterkunft im Sommerlager der Neunten Höhle. Er war einzigartig und hatte dadurch eine ganz eigene, ausgefallene Qualität. Der Beutel, den Ayla in der Zelandoniahütte aufbewahrte, ähnelte den Beuteln der anderen Doniers, eine schlichte Tasche aus Rohleder, ganz ähnlich der, in der sie Fleisch transportierte, nur etwas kleiner. Die Verzierung war jedoch alles andere als schlicht. Jeder Medizinbeutel war unverkennbar, jede Heilerin und jeder Heiler stellten ihr Exemplar selbst her und schmückten es mit den erforderlichen, aber auch mit anderen, persönlichen Elementen.
Ayla ging damit zu Zelandoni zurück, die unterdessen ruhig ihren Tee geschlürft hatte. Die junge Frau öffnete den Beutel und tastete darin umher. Sie runzelte die Stirn. Schließlich leerte sie den Inhalt auf den kleinen Tisch und entdeckte auch das Täschchen, nach dem sie suchte, allerdings war es nur noch halbvoll.
»Offenbar hast du die Mischung schon probiert«, sagte Zelandoni.
»Das verstehe ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, diesen Beutel geöffnet zu haben. Wieso ist dann die Hälfte weg?« Ayla schnürte ihn auf, schüttete ein wenig in die Handfläche und schnupperte daran. »Es riecht nach Minze.«
»Wenn ich mich recht entsinne, sagte die Zelandoni, die ihn dir gab, sie füge Minze hinzu, um diese Mischung besser erkennen zu können. Sie bewahrt Minze nicht in solchen Beuteln, sondern in großen Webbehältern auf, wenn es also in diesem Beutel ist und wie Minze riecht, weiß sie, dass es diese besondere Mischung ist«, erklärte Zelandoni.
Ayla lehnte sich zurück, schaute mit gerunzelter Stirn zur Decke und versuchte angestrengt, sich zu erinnern. Plötzlich setzte sie sich auf. »Ich glaube, das habe ich in der Nacht getrunken, als ich zum letzten Mal den Sonnenuntergang und den Mondaufgang beobachtet habe. Die Nacht, als ich berufen wurde. Ich dachte, es wäre Minztee.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh, Große Mutter! Zelandoni! Vielleicht wurde ich überhaupt nicht berufen. Vielleicht wurde das alles nur von dieser Mischung verursacht!«, sagte Ayla entsetzt.
Zelandoni beugte sich vor und tätschelte ihr lächelnd die Hand. »Es ist alles gut, Ayla. Mach dir deswegen keine Sorgen. Du bist berufen worden, du bist die Zelandoni der Neunten Höhle. Viele Zelandonia haben ähnliche Kräuter und Mischungen zu sich genommen, um leichter Zugang zur Geisterwelt zu bekommen. Man kann sich zwar an einem anderen Ort wiederfinden, wenn man sie verwendet, aber berufen wird nur, wer dazu bereit ist. Es steht außer Zweifel, dass deine Erfahrung eine echte Berufung war, obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht ganz so bald damit gerechnet hatte. Die Mischung mag dazu geführt haben, dass du die Berufung etwas früher erlebt hast als erwartet, aber deswegen ist sie nicht minder bedeutsam.«
»Weißt du, was die Mischung noch enthält?«, fragte Ayla.
»Sie hat mir die Zutaten genannt, aber nicht das Mischverhältnis. Wir teilen unser Wissen zwar gerne, aber ein paar Geheimnisse möchten die meisten Zelandonia doch für sich behalten.« Die Eine, Die Die Erste Ist, lächelte. »Warum fragst du?«
»Die Mischung muss sehr stark gewesen sein.« Ayla schaute in den Teebecher, den sie in der Hand hielt. »Ich überlege mir, ob sie etwas enthielt, das eine Fehlgeburt ausgelöst haben könnte.«
»Ayla, mach dir keine Vorwürfe.« Zelandoni ergriff ihre Hand. »Ich weiß, es tut weh, ein Kind zu verlieren, doch das lag außerhalb deiner Macht. Es war ein Opfer, das die Mutter von dir verlangte, vielleicht, weil sie dich
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