Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
raten mussten, um wen es ging. Jondalar war mit solchen Geschichten aufgewachsen und mochte sie, aber ihm gefielen die Legenden und Überlieferungen der Alten besser. Er hatte viele Geschichten über seine Mutter gehört, als sie Anführerin der Neunten Höhle war, und die Geschichte über die große Liebe zwischen Marthona und Dalanar war so oft erzählt worden, dass sie fast schon zur Legende geworden war.
Ayla und Jondalar plauderten noch eine Weile mit Galliadal, schlenderten dann zum Lagerplatz der Dritten Höhle und blieben unterwegs stehen, um mit verschiedenen Bekannten zu sprechen. Als der Abend fortschritt, wurde es sehr dunkel. Ayla blieb kurz stehen und schaute zum Himmel empor. Es war Neumond, und ohne sein schimmerndes Licht, das die Strahlkraft der Sterne verminderte, prangten sie in ehrfurchtgebietendem Überfluss am Nachthimmeln.
»Der Himmel ist so ... voll ... Ich weiß das richtige Wort nicht«, sagte Ayla ungehalten darüber, dass ihr die passende Formulierung nicht einfiel. »Er ist wunderschön, aber mehr als das. Ich komme mir so klein vor, aber gleichzeitig auch im Einklang mit mir. Er ist größer als wir, größer als alles.«
»Wenn die Sterne so leuchten, ist das ein wundersamer Anblick«, stimmte Jondalar ihr zu.
Obwohl die hellen Sterne nicht so viel Strahlkraft besaßen wie ein voller Mond, reichten sie dennoch beinahe aus, um ihren Weg zu beleuchten. Aber die Vielzahl der Sterne spendete nicht das einzige Licht. Jeder Lagerplatz hatte ein großes Feuer entzündet, und Fackeln und Lampen erhellten die Pfade zwischen den einzelnen Lagerplätzen.
Als sie den Lagerplatz der Dritten Höhle erreichten, trafen sie auf Proleva mit ihrer Schwester Levela und ihrer Mutter Velima. Alle begrüßten einander.
»Kaum zu glauben, wie Jonayla in diesen wenigen Monden gewachsen ist«, sagte Levela. »Und sie ist so hübsch. Sie hat Jondalars Augen. Aber sie sieht aus wie du.«
Ayla lächelte über das Kompliment für ihre Tochter, wehrte jedoch das ihr zugedachte ab. »Ich finde, sie sieht wie Marthona aus, nicht wie ich. Ich bin nicht hübsch.«
»Du weißt gar nicht, wie du aussiehst, Ayla«, entgegnete Jondalar. »Du schaust nie in einen Abglanz oder in einen ruhenden Teich. Du bist hübsch.«
Ayla wechselte das Thema. »Inzwischen sieht man dir die Schwangerschaft wirklich an, Levela. Wie geht es dir?«
»Seit mir morgens nicht mehr übel wird, geht es mir gut«, erwiderte Levela. »Ich fühle mich kraftvoll und stark. Allerdings werde ich neuerdings schnell müde. Ich möchte morgens länger schlafen und tagsüber ein Nickerchen halten, und wenn ich lange stehe, tut mir der Rücken weh.«
»Klingt so, als wäre alles in Ordnung.« Velima lächelte ihre Tochter an. »Genau so solltest du dich fühlen.«
»Wir haben einen Platz eingerichtet, an dem wir auf die Kinder aufpassen, damit ihre Mütter und Gefährten am Fest der Mutter teilnehmen und sich entspannen können«, berichtete Proleva. »Du kannst Jonayla dortlassen, wenn du willst. Auf dem Hauptlagerplatz wird es Gesang und Tanz geben, und einige hatten schon zu viel getrunken, als ich ging.«
»Wusstest du, dass die wandernden Geschichtenerzähler hier sind?«, fragte Jondalar.
»Ich hatte gehört, sie würden kommen, aber ich wusste nicht, dass sie bereits eingetroffen sind«, antwortete Proleva.
»Wir haben uns mit Galliadal unterhalten. Er wollte, dass wir kommen und ihm zuhören. Er sagte, er hätte eine Geschichte für Ayla. Ich glaube, es ist eine nur oberflächlich verschleierte Geschichte über sie. Wir sollten lieber hingehen und sie uns anhören, damit wir wissen, worüber die Leute morgen reden.«
»Kommst du mit, Proleva?«, fragte Ayla, als die Frau ihren schlafenden Säugling ablegte.
»Das Festmahl war riesig, und ich habe viele Tage daran gearbeitet«, antwortete Proleva. »Ich glaube, ich bleibe lieber hier und passe mit ein paar anderen Frauen auf die Kleinen auf. Das wird erholsamer sein. Ich habe genügend Feste der Mutter mitgemacht.«
»Vielleicht sollte ich auch bleiben und auf die Kinder aufpassen«, meinte Ayla.
»Nein. Geh du nur. Feste der Mutter sind nach wie vor neu für dich, und du musst dich mit ihnen vertraut machen, wenn du eine Zelandoni werden willst. Gib mir ruhig deine Kleine. Ich habe seit Tagen nicht mehr mit ihr geschmust.«
»Dann will ich sie erst stillen. Meine Brüste fühlen sich sehr voll an.«
»Levela, du solltest auch mitgehen, um dir die Geschichtenerzähler anzuhören. Du auch, Mutter«,
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