zusammengefaßt werden: »Werbung scheint in den neunziger Jahren durch die Überreizung aller Tendenzen von schrillem Humor bis lässiger Coolness, von Schockwerbung und Ästhetisierung bis zum Szenemarketing strategisch, semiotisch und narrativ erschöpft. Auch wenn (oder gerade weil) heute fast schon jedes Ereignis – von den Olympischen Spielen bis zum Streetball-Turnier – als Werbeinszenierung erscheint, müssen die Reize immer drastischer werden, soll noch Aufmerksamkeit für Produkte, Leistungen, Personen und Botschaften geweckt werden« (Schmidt, 1999, S. 533).
Bei aller Unterschiedlichkeit der Genres findet sich doch von der täglichen Seifenoper über die klassische Nachrichtensendung bis zur Fußballreportage ein deutlicher Trend, der sich in zwei Worten zusammenfassen läßt: Fernsehen heute ist
Personalisierung und
Emotionalisierung.
Personalisierung heißt, daß, wo immer es möglich ist, Personen und Einzelschicksale in den Vordergrund einer Sendung gestellt werden. In den Seifenopern und Serien verfolgt der Zuschauer das alltägliche Leben der Protagonisten über einen längeren Zeitraum, in den Politik- und Informationssendungen wird ihm Politik als das Handeln prominenter Akteure vorgestellt, in den Shows und Musiksendungen agieren vertraute und bekannte Moderatoren mit anderen vertrauten und bekannten Prominenten und mit alltäglichen Glückskindern, die den Auftritt vor der Kamera erreicht haben, in den Sportsendungen werden ihm wieder unter der Anleitung bekannter Moderatoren erfolgreiche oder tragische Helden vorgeführt, in der Werbung treten ihm erneut allerlei Prominente oder (scheinbar) alltägliche Durchschnittsfiguren gegenüber. Personalisierung konkretisiert sich also in drei Personengruppen: Stars, Moderatoren und Menschen »wie du und ich«.
Emotionalisierung meint, daß das Medium bevorzugt konflikt-, gewalt- und actionhaltige Sequenzen zeigt, Schockeffekte und Tabubrüche vorführt, spektakuläre Bilder verwendet, die Emotionen der jeweiligen Akteure evoziert und sie in Großaufnahme zeigt. Zudem werden in allen Genres zunehmend kürzere Einstellungen und Redebeiträge, schnelle Kamerafahrten und subjektive Kamera, ungewöhnliche Perspektiven und Trickeffekte verwendet, dazu Geräusche und Musik auch in bisher musikfernen Genres eingesetzt.
So ganz verwunderlich ist das alles eigentlich nicht, hat doch der amerikanische Fernsehkritiker Jerry Mander die Gesetzmäßigkeiten des TV schon 1978 so beschrieben (Mander 1978, dt. 1979, S. 274f.):
»Krieg ist fernsehgerechter als Frieden ... Gewalt ist fernsehgerechter als Gewaltlosigkeit ... Oberflächlichkeit ist einfacher als Tiefe ... Kurze Themen mit einem klaren Anfang und Ende lassen sich leichter übermitteln als ausgedehnte und vielschichtige Informationen. Das Ergebnis ist einfacher als der Prozeß ... Gefühle des Konflikts und ihre Verkörperung in Handlungen eignen sich besser für das Fernsehen als Gefühle der Übereinstimmung und ihre Verkörperung in Ruhe und Einigkeit ... Lust ist fernsehgerechter als Zufriedenheit. Aufwallende Leidenschaft und Angst sind besser als Ruhe und Gelassenheit ... Eifersucht ist besser als Toleranz ... Konkurrenzverhalten ist seinem Wesen nach fernsehgerechter als Zusammenarbeit ... Materialismus, Habsucht und Ehrgeiz ... machen sich besser als Spiritualität, Zufriedenheit mit dem, was man hat, Offenheit und Nachgiebigkeit ... Handeln ist leichter zu übertragen als Sein. Aktivität wird der Inaktivität auf jedem Fall vorgezogen ... Das Laute eignet sich besser ... als das Leise. Das Nahe besser als das Ferne. Das Große besser als das Kleine ... Das Einfache ist leichter zu handhaben als das Komplexe ... Das Ausgefallene erhält im Fernsehen immer mehr Aufmerksamkeit als das Gewöhnliche ... Der Gefühlsausdruck ist besser als das Gefühl selbst, und daher ist Weinen besseres Fernsehen als Traurigkeit ... Der Tod ist leichter als das Leben.«
9. Fühlen – Über die Lust an der Erregung
Noch einmal John Lennon: Nur zwei Stunden nach seinem Tod versammelten sich Tausende Menschen vor seinem Wohnhaus und legten dort Blumen, Fotografien, Zeichnungen und Texte nieder. Radiosender rund um den Globus unterbrachen ihr Programm, spielten Musik der Beatles und öffneten ihre Mikrophone für die Trauer der Anrufer. Inzwischen ist die spontane Versammlung am Tatort, das Niederlegen von Blumen, Teddybären und anderen Devotionalien fester Bestandteil der Betroffenheitsrituale unserer
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