rund vier Millionen Menschen an Diabetes leiden. Allerdings sind das auch schon 5% der Gesamtbevölkerung.
Auch hier findet sich der eben schon genannte Zusammenhang mit dem TV-Konsum. Teilt man den TV-Konsum wiederum in Zwei-Stunden-Intervalle ein, so steigt das Diabetes-Risiko bei (amerikanischen) Frauen um jeweils 14% pro Intervall. (Amerikanische) Männer, die etwa sechs Stunden täglich vor dem Bildschirm verbringen, haben ein dreifach höheres Diabetesrisiko als Männer, die nur wenig oder gar nicht Fernsehen (Hu et al., 2001). Auch hier gilt natürlich, daß das Fernsehen selbst nicht krank macht, es ist vielmehr eine schlichte Fortsetzung des oben skizzierten Zusammenhangs: Bewegungsmangel und falsche Ernährung vor dem Fernsehapparat führen zu Fettleibigkeit, alles zusammen zu Diabetes.
Es ist also wirklich ein gefährliches Leben, das die »couch potatoes« sich da einrichten. Und inzwischen können sie sich nicht mehr damit herausreden, sie hätten es nicht gewußt, denn die amerikanische Öffentlichkeit beginnt, sich diesem Problem zuzuwenden (vgl. etwa Brody, 2003). So stellt sich schon die Frage, was Menschen dazu bringt, stundenlang nahezu bewegungslos im Halbdunklen auf einen Bildschirm zu gucken, allerlei minderwertige Nahrungsmittel und Getränke zu konsumieren und schnurstracks in die Fettleibigkeit zu marschieren?
Die Antwort lautet: orale Regression. Was soll das sein?
In der Psychologie ist Regression allgemein ein Abwehrmechanismus, bei dem die regredierende Person sich nach einer Frustration auf eine Entwicklungsstufe zurückfallen läßt, die sie eigentlich schon durchlaufen hatte. In der Psychoanalyse wird dieser allgemeine Gedanke auf die hier entwickelten Phasen der menschlichen Entwicklung bezogen (vgl. zum Folgenden Krause, 1998): Es beginnt mit der oralen Phase des ersten Lebensjahres mit Mund und Lippen als den dominierenden Lustzonen. Es folgt die anale Phase des zweiten und dritten Lebensjahrs mit dem Anus als der dominierenden Lustzone, schließlich die phallisch-ödipale Phase des dritten bis siebten Lebensjahres mit der Entdeckung des Penis als Lustzentrum. Sie wird von der Latenzperiode abgelöst, der Zeit vom Schuleintritt bis zur Pubertät, die schließlich in die genitale Phase des geschlechtsreifen Erwachsenen mündet.
Orale Regression ist demnach ein vorübergehendes oder dauerhaftes Zurückfallen in die orale Entwicklungsphase. Der nur zeitweilig regredierende Mensch zeigt demnach nur vorübergehend Verhaltensweisen, wie etwas sich einverleiben wollen, etwas bekommen und ergreifen, mit jemandem verschmelzen und sich-eins-fühlen wollen. Wird die Regression chronisch, so führt sie zu Charaktereigenschaften wie Passivität, rezeptiver Abhängigkeit und dem Wunsch nach mütterlichem Umsorgtwerden, aber auch zu Gier, Ungeduld und Neid. Die Haltung gegenüber der Welt ist durch primitive Abwehr, durch simple kognitive Operationen und Strukturen, durch Projektionen und – im Extremfall – durch wahnhafte Wahrnehmungen gekennzeichnet. Ein Beispiel für eine orale Regression wäre also etwa unmäßiges Essen als Reaktion auf Liebeskummer – aber auch Fernsehen?
Gewiß, es spricht schon einiges dafür, die Fernsehgewohnheiten der »couch potatoes« als orale Regression zu interpretieren (vgl. dazu Kubey & Csikszentmihalyi, 1990, S. 102ff.): Sie nehmen in ihren TV-Sesseln mit Vorliebe eine infantile Körperhaltung ein, sie haben sich eine warme, abgedunkelte Umgebung geschaffen und sich mit leicht und nebenbei konsumierbaren Lebensmitteln und Getränken versorgt. Das ist aber noch nicht alles. Hinzu kommt nämlich, daß das TV-Gerät sie mit einer nie endenden Zahl immer irgendwie gleicher und letztlich doch meistens glücklich endender Geschichten versorgt, die – genau wie früher die Märchen – vor dem Zubettgehen erzählt werden. Aber noch wichtiger ist dies: Die Geschichten des Fernsehens sind voll von nahezu beliebig verfügbaren, auf die individuellen Wünsche des Zuschauers zugeschnittenen Bezugspersonen! Sich etwas einverleiben wollen, etwas bekommen und ergreifen, mit jemandem verschmelzen und sich eins fühlen wollen ist hier allemal realisiert, und Eigenschaften, wie Passivität, rezeptive Abhängigkeit und der Wunsch nach mütterlichem Umsorgtwerden, werden sicher bedient.
Und so ergibt sich eine stimmige Erklärung für das eben skizzierte, eigentlich ziemlich bizarre Verhalten fernsehender Menschen: Die »couch potatoe« hat in ihren täglichen
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