besonders dann in reales aggressives Verhalten nach dem Vorbild seiner medialen Identifikationsfiguren umsetzen, wenn er ein entsprechendes Publikum – seine Kumpel, Mitschüler oder unbeteiligte Beobachter – hat. Dies gilt zunächst einmal nur für das, was man »alltägliche Gewalt« nennt, und allenfalls noch für kriminelle Taten wie Sachbeschädigung, Körperverletzung, Erpressung, Raub und Diebstahl. Forschungsergebnisse zu dieser Form der Jugendkriminalität in Deutschland zeigen hier einen bedeutsamen Zuwachs in den vergangenen Jahren (vgl. etwa Pfeiffer & Wetzeis, 2001).
Beim »rampage killing« sind diese Tendenzen ins Extreme übersteigert. Die männlichen Täter sind u.a. gekennzeichnet durch die Persönlichkeitsmerkmale Übererregbarkeit und emotionale Labilität, Aggressivität und Halsstarrigkeit, durch Egozentrik sowie theatralisches Verhalten. Sie haben Kränkungen und Demütigungen erlebt, ihre Appelle um Zuwendung und Beachtung blieben unerhört, schließlich erzwingen sie in einer Orgie von Gewalt die öffentliche Beachtung; die verzweifelte Trauer über ihr Leben und ihre letzte Tat läßt sie den Selbstmord als eine Art von reinigender Strafe und Erlösung empfinden. Trotz weltweit steigender Zahlen bleiben aber sowohl »school massacres« wie auch das »rampage killing« glücklicherweise einstweilen noch seltene Ereignisse, an denen sich jedoch das fatale Zusammenwirken mit histrionischen Charaktereigenschaften besonders gut verdeutlichen läßt.
Glücklicherweise ist die Frage der Modellierung aggressiven Verhaltens nicht der einzige Einfluß des Fernsehens auf das reale Verhalten von Zuschauern. Hier zeigt sich aber ein besonders gravierendes Beispiel für das Lernen am medialen Modell. Benachbart dazu sind Forschungsergebnisse, nach denen weiße amerikanische Jugendliche, die häufig »heavy metal«-Videos auf MTV sehen, eher zu sozial auffälligem Verhalten wie Schuleschwänzen, Autofahren ohne Führerschein, Marihuanarauchen oder Stehlen neigen (Klein et al., 1993). Auch der Werthereffekt, die Nachahmung des Selbstmordes eines Prominenten, ist inzwischen gut belegt. Beispielsweise nahmen sich in den USA im August 1962 – nach dem Selbstmord von Marylin Monroe -303 Menschen das Leben. Das ist gegenüber dem langjährigen Durchschnitt eine Zunahme um 12%. Es paßt zu unseren Überlegungen, daß der Werthereffekt bei Berichten über Prominentenselbstmorde stärker ist als bei Berichten über Selbstmorde von Durchschnittsbürgern. Noch deutlicher wird der Inszenierungsaspekt in diesem Befund: Berichte über versuchte, aber erfolglose Selbstmordversuche von Prominenten finden mehr Nachahmer als solche über erfolgreiche Suizide (Stack, 2003).
Darüber hinaus lassen sich aber auch Beispiele für weniger auffällige Verhaltensweisen finden, die Ausdruck solcher partiellen identifikatorischen Prozesse sind. So zeigen inhaltsanalytische Untersuchungen, daß ab 1960 sowohl die Modelle des Playboy wie die Bewerberinnen zur Miss America und allgemein die Filmstars und Schauspielerinnen immer dünner und um die Hüften immer schmaler wurden (Signorelli, 1995). Es ist kaum zu glauben, aber inzwischen erfüllen zwischen 60% und 70% dieser jungen Frauen eines der Kriterien für eine Anorexia nervosa. Sie haben ein um 15% geringeres Körpergewicht als das, was nach Lebensalter und Größe durchschnittlich zu erwarten wäre. Andere Kriterien für diese Störung sind vorsätzliches Fasten, verzerrte Einstellungen gegenüber Essen und Gewicht sowie die Leugnung des Problems. Und entsprechend finden sich bei jüngeren weiblichen Zuschauern Zusammenhänge zwischen der Lektüre von Frauenzeitschriften, dem Anschauen von Seifenopern und Musikvideos und Eßstörungen (Harrison, 2000; Hofschire & Greenberg, 2002). Die Identifikation mit weiblichen Modellen und TV-Stars führt auch zur Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Die jungen Frauen finden ihren Busen zu klein, ihre Hüften zu breit oder sich generell zu dick.
Zudem sehen sie sich dann auch noch einer ständig wachsenden Anzahl von Artikeln über Diät und sportliche Aktivitäten in den Frauenmagazinen ausgesetzt. Entsprechend mühen sie sich kontinuierlich um eine Reduktion ihres Körpergewichts, haben häufiger Anorexia nervosa sowie Bulimia nervosa, das wiederkehrende Wechselspiel von Freßanfällen und selbst herbeigeführtem Erbrechen (Hofschire & Greenberg, 2002).
Ein anderer Aspekt ist das Rauchen. So gibt es eine Reihe von Studien, nach
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