Zuschauerbeteiligung – wie etwa Die Traumhochzeit, Die 100.000 DM Show oder Big Brother – spielen brillant mit dem ungestillten Verlangen des Zuschauers nach eigener Prominenz.
Daß die Identifikation mit Medienfiguren jedoch notwendigerweise nur oberflächlich bleiben kann, daß in der Auseinandersetzung mit ihnen kein stabiles Selbstbild entstehen kann, darauf hat Horkheimer schon 1950 (1985, S. 16f.) hingewiesen: »Abgesehen von der schwindenden ökonomischen Basis des verhältnismäßig unabhängigen Individuums, behindern Faktoren wie die Massenproduktion der verschiedenen Vergnügungsindustrien die Entwicklung autonomer Persönlichkeit. Die überwältigende Anzahl von Fernseh- und Radiosendungen, Filmen, Comics und Reklamen zwingt das Kind, sich mit beständig wechselnden Charakteren zu identifizieren, während nur wenige abstrakte, veräußerlichte Ideen wie Erfolg oder Stärke oder Ehe dieselben bleiben. Kurzlebige und widerspruchslose Modelle und Ideen erlauben es dem jungen Menschen nicht, die Einwirkungen weniger, konkreter Imagines so tief und anhaltend zu erfahren, daß sie das Rückrat seines Erwachsenenlebens werden können ... Deshalb werden Handlungen einer Person immer weniger deren eigener Ausdruck, sondern zu bloßen Funktionen wechselnder Situationen, gesellschaftlicher und politischer Manipulationen.« In der Entwicklungspsychologie spricht man in diesem Zusammenhang von patchwork identity oder diffuser Identität: Das Selbstwertgefühl der so Heranwachsenden ist niedrig, ihr Handeln von außen kontrolliert, das Denken impulsiv. Sie ziehen sich von den Eltern zurück und hören auf Gleichaltrige oder andere Autoritäten. Der Anteil von Jugendlichen mit dieser Identität hat sich von früher 20% auf inzwischen 40% erhöht (Oerter & Dreher, 1995).
Regression, »celebrity identification« und diffuse Identitäten sind nicht alles. Der willfährige Geist »Fernsehen« will nicht nur handelnd nachgeahmt werden, er prägt auch das Denken und die Gefühle der Zuschauer.
Wie sah das Denken des Histrio aus, welche Merkmale machten den »hysterischen Kognitionsstil« (Shapiro, 1991) aus? Wie oben dargelegt, sind Histrios durch eine zu hastige und unzureichende innerpsychische Organisiertheit, Differenzierung und Integration mentaler Inhalte gekennzeichnet. Der Histrio kann sich – auch bei hoher Intelligenz – nur schwer intensiv auf eine Aufgabe konzentrieren, er entwickelt selten intellektuelle Neugier, da er dem Oberflächlich-Offensichtlichen zugeneigt ist. Histrionische Denkmuster sind relativ diffus, wenig detailreich, eher impressionistisch. Der Histrio ist suggestibel und hoch beeindruckbar durch alles Lebhafte, Verblüffende oder nachdrücklich Geäußerte. An gründlichem Wissen ist er wenig interessiert, sammelt er doch eher Eindrücke als Fakten. Insgesamt ist der hysterische Kognitionsstil durch die drei Merkmale Konzentrationsunfähigkeit, Beeindruckbarkeit und Lücken im Faktenwissen gekennzeichnet. Das entspricht nicht nur zu guten Teilen den Merkmalen oral-regressiven Denkens mit seiner Tendenz zu simplen kognitiven Operationen und Strukturen, es entspricht vor allem in geradezu frappierender Weise den Eigenschaften des Mediums: Auch das Medium gibt sich lebhaft, verblüffend, nachdrücklich. Es verlangt keine Konzentration, gilt ja insgesamt als »leichtes Medium« und vermittelt eher oberflächliche Eindrücke als fundiertes Wissen. So findet sich also auch hinsichtlich des Denkens eine überraschend gute Passung von medialer und mentaler Struktur: Das Fernsehen entspricht dem Kognitionsstil des Histrio, und es prägt ihn Tag für Tag aufs neue.
Und schließlich die Gefühle: Fernsehen ist ja inzwischen ein Medium geworden, das sich insgesamt mehr an die Stimmungen, Gefühle und Affekte der Zuschauer als an deren Intellekt wendet. Formal und inhaltlich nehmen die emotionsgenerierenden Gestaltungsmittel zu; wir hatten dies am Beispiel von Nachrichtensendungen empirisch nachgewiesen. Auch hier zeigt sich, daß das Medium Emotionen nicht nur auslöst, sondern den Prozeß der emotionalen Reaktionen seiner Zuschauer auf Dauer verändert. Etwas fühlen ist ein psychischer Vorgang, der mit verschiedenen Reaktionen verbunden ist und der Zeit verbraucht. Das Fernsehen gewährt diese Zeit nicht, die Schnelligkeit der medialen Informationsdarbietung läßt tiefere, länger dauernde Gefühle nicht mehr entstehen. Das emotionale Erleben ist auf eine kurze, vor allem aktivierende Reaktion
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