daß sein Haar eine wundervolle Masse seidigen Goldes war, sein Gesicht, fast weiß, verhieß einen zarten Knochenbau, die Lippen waren ungewöhnlich voll und rot.
»Das hier nennt man die Kreuzung«, sagte das Kind erläuternd. Trant wußte, daß der Begriff manchmal für die Schnittstelle von Langschiff und Querschiff verwendet wurde.
»Oder auch den Narthex, glaube ich«, sagte er in einem plötzlichen Versuch, den Erwachsenen herauszukehren.
Das Gesicht des Kindes zeigte naturgemäß bloß Verwirrung. Nach wie vor war niemand sonst in der Kathedrale zu sehen.
Sie stiegen jetzt die Stufen zur Krypta hinab; das Kind hielt sich dabei wegen seiner Behinderung an dem Eisengeländer fest. Am Kopf der Treppe stand ein Tisch, an dem offenbar das Eintrittsgeld kassiert wurde und der jetzt unbesetzt war. Trant fühlte sich zu keiner Bemerkung genötigt.
In der Krypta brannten zu Trants gelinder Überraschung viele Lichter. Vielleicht hatte die Aufsichtsperson es versäumt, sie auszuschalten, als er oder sie zum Essen geeilt war.
Der Führer beschrieb die Krypta als »weiträumig«, aber sie war wesentlich weiträumiger, als Trant erwartet hatte. Die Treppe mündete in einen Winkel, und Säulen schienen sich wie Alleebäume in die Ferne zu erstrecken. Sie waren aus verschiedenfarbigem Stein errichtet, kastanienbraun, purpurn, grün, grau, golden und trugen vielfach Reste von Malereien, die sich auch hier und da an der steinernen Gewölbedecke und auf den massigen Mauern zeigten.
In der gedämpften, ungleichmäßigen Beleuchtung wirkte der Raum geheimnisvoll und schön, und das um so mehr, da man seinen Gesamtumfang nicht mit einem Blick zu erfassen vermochte. Im Lauf der Jahrhunderte war der Steinfußboden uneben und wellig geworden, wenngleich nicht in störendem Ausmaß. Hier und da standen Vitrinen und Gegenstände auf Piedestalen, und es roch angenehm nach Weihrauch.
Als Trant die Krypta betrat, herrschte völlige Stille. Einen Augenblick lang meinte er sogar zu spüren, daß etwas Sonderbares um diese Stille war, daß nur Laute aus einem anderen Reich darin trieben und daß die Geräusche dieser Welt – die seines eigenen Erscheinens zum Beispiel – einer fremden Dimension angehörten und ohne Bedeutung waren. Er blieb ein wenig ehrfürchtig stehen und lauschte einen Moment lang dem Nichts.
Das Kind blieb ebenfalls stehen oder machte, besser gesagt, Rast an einer Säule. Wieder zeigte es die Andeutung eines Lächelns. Vielleicht lächelte es die ganze Zeit über so, als sei es unausgesetzt glücklich. Trant vermutete mehr denn je, daß es sich um ein Mädchen handelte. Mittlerweile war seine Ungewißheit schon reichlich absurd, aber diese Frage war kaum mehr zu beantworten.
»Die Kleider von Bischof Triest«, bedeutete das Kind. Es waren schwere Gewänder, aufwendig bestickt, die in einer Glasvitrine hingen.
»Das Ornament des Heiligen Livinus«, sagte das Kind und bekreuzigte sich. Trant wußte nicht recht, was er von dem Ornament halten sollte.
»Tiere«, sagte das Kind. Es war ein frühes Werk der Naturgeschichte, verfaßt von einem Mönch, und bereits die aufgeschlagene Seite zeigte einige überaus merkwürdige Exemplare.
Das Kind begann nun, in seinem Eifer hin und her zu eilen, um auf einen Gegenstand nach dem anderen hinzuweisen.
»Der Schrein des Heiligen Macarius«, erläuterte es, ohne sich zu bekreuzigen, vermutlich weil die Reliquie abwesend war.
»Die Kleider von Abt Hughenois.« Es handelte sich erneut um geistliche Gewänder – sehr ähnlich denen von Triest, dachte Trant.
»Was ist das da?« fragte Trant, der jetzt die Initiative ergriff. Anscheinend direkt auf der Gegenseite der Krypta und nun durch den Säulenwald mit seinen gedämpften Farben für Trant erstmals erkennbar, befand sich etwas, von dem ein funkelnder Lichtschimmer auszugehen schien.
»Das kommt zum Schluß«, erwiderte das Kind. »Sie werden bald dort sein.«
Es wird um diese Zeit bald sein müssen, dachte Trant, wenn wir nicht schon vorher hinausgeworfen werden.
»Via dolorosa«, sagte das Kind, indem es auf ein Bild deutete. Es war eine grauenhafte Szene in ausgesprochen realistischer Manier, als sei der Künstler selbst zugegen gewesen; danach folgte ein weiteres Bild, das noch grauenhafter und mindestens ebenso realistisch war.
»Golgatha«, erläuterte das Kind.
Sie bogen um eine Ecke, eine Mauer aus Steinen zur Linken, den Säulenwald zur Rechten. Die zwei Flügel eines Diptychons kamen ins Blickfeld, von
Weitere Kostenlose Bücher