Weise wie der Junge vor ihm seine Arme aus.
Ein Durchlaß blieb ihm noch. Trant wich ein paar Schritte zurück, sah dann aber in den Schatten (die gleichsam schwärzer zu werden schienen) den Mann im grauen Anzug mit dem leichten ausländischen Akzent. Seine Arme gingen in dem Augenblick in die Höhe, als Trant ihn entdeckte, aber indem sich ihre Augen trafen (obgleich Trant sein Gesicht nicht besonders deutlich erkennen konnte), tat er etwas, das die anderen nicht getan hatten. Er lachte.
Und im Eingang des anderen Wandelganges, durch den Trant eben erst gekommen und mit dem Kind zusammen fast gerannt war, stand nun in tapferer Verleugnung seines Leidens eben dieses Kind, das jetzt wieder aufblickte und wahrhaftig strahlte, als es seine Arme ausbreitete, fast wie ein Vogel, der zum Flug ansetzt.
Trant hörte, wie die große Uhr der Kathedrale zwölf schlug. Der Klang der Glocke verlor sich in der Krypta; man konnte kaum mehr wahrnehmen als ein zwölfmaliges Beben, fast als würden irgendwo Kanonen abgefeuert. Es brauchte erstaunlich lange Zeit bis der zwölfte Glockenschlag verklungen war.
Unterdessen hatte sich direkt neben dem Reliquienschrein in der entferntesten Ecke der Krypta eine kleine Pforte geöffnet. Darüber war ein kleiner, aber auserlesener und gut erhaltener Schlußstein mit dem Bildnis einer verlorenen Seele, die ein Dämon am Kanthaken hatte. Trant war die Tür zuvor kaum aufgefallen, wie man ja gewöhnlich die betrieblichen Einzelheiten einer Sehenswürdigkeit übersieht, eben jene Einzelheiten, die für die dienstbaren Geister solcher Orte von vorzüglicher Bedeutung sind.
Die Türöffnung wurde nahezu ausgefüllt von dem Mann, den Trant auf der Kanzel zu sehen geglaubt hatte, kurz nachdem er das große Bauwerk betreten hatte. Der Mann wirkte nun größer, aber gleichgeblieben waren der kahle Schädel, die kraftlosen Hände, das vielfarbige Gewand. Es war zweifellos dieselbe Person, aber irgendwie aufgebläht oder angewachsen, und der sonderbare Haarkranz schien stärker denn je zu leuchten.
»Die Kathedrale schließt jetzt«, sagte der Mann. »Folgen Sie mir!«
Die Gestalten im Kreis um Trant begannen ihn einzuschließen, bis die Spitzen ihrer ausgestreckten Finger sich beinah berührten.
Seine Fragen blieben unbeantwortet, seine Proteste ungehört, erst recht, nachdem sie alle zu singen begannen.
Die Schwerter
Corazón malherido Por cinco espadas
Federico Garcia Lorca
M
eine erste Erfahrung? Meine erste Erfahrung glich weit eher einer Prüfung als alles, was ich in dieser Hinsicht seitdem erlebt habe, war sie doch keineswegs angenehmer, aber ganz sicher eine härtere Probe. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten festgestellt, daß es die Anfänger sind, denen merkwürdige Dinge zustoßen, und oft sind es, glaube ich, nur die Anfänger. Sobald man über eine Sache Bescheid weiß, ist nichts mehr dabei. Diese Sache eingeschlossen – meistens jedenfalls. Nach den ersten sechs, sieben, oder sagen wir acht Frauen ist es mit den übrigen so ziemlich dasselbe.
Und ich war ein Anfänger, grün wie eine unreife Zwiebel. Mehr noch, ich war ein richtiges Muttersöhnchen, aus Furcht vor dem Leben wie gelähmt und ohne einen blassen Schimmer. Nicht daß ich respektlos von meiner alten Mutter reden will. Sie ist so gut wie nur irgendeine, und mit ihr komme ich immer noch besser aus als mit den meisten anderen Frauen.
Sie hatte einen Bruder, meinen Onkel Elias. Ich sollte wohl erwähnen, daß wir alle angeblich von einer der großen Töpfer-Familien abstammen, aber ich weiß nicht, was daran wahr ist. Meine Großmama besaß ein paar Stücke Keramik zum Beweis, aber man kann nie sicher sein. Nachdem mein Vater tödlich verunglückt war, bat meine Mutter meinen Onkel Elias, mich in sein Geschäft aufzunehmen. Er handelte in bescheidenem Maß mit Lebensmitteln – ein ›billiger Jakob‹. Er meinte, ich müsse mich erst im Außendienst einarbeiten. Meine Mutter war ganz außer sich, weil doch mein Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, und weil sie glaubte, daß ich zwangsläufig moralisch gefährdet sein würde, aber sie konnte nichts daran ändern, und so fand ich mich im Außendienst wieder.
Das mit der moralischen Gefährdung stimmte schon, aber ich war zu einfältig und zu schüchtern, um mich darauf einzulassen. So weit wie möglich blieb ich auf Kurs und ging den anderen Kollegen aus dem Weg, die mit mir reisten. Ich war ziemlich sicher, daß sie ein
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