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nach kurzer Suche keine Mühe, mich durch ein Loch zu zwängen, das die Racker aus der Nachbarschaft zum Spaß und aus Mangel an sinnvoller Beschäftigung hineingeschnitten hatten. Ich ging zu dem schäbigen Zelt auf der gegenüberliegenden Seite und versuchte, die Klappe anzuheben.
    Es zeigte sich, daß sie an mehreren Stellen festgezurrt war, und zwar augenscheinlich von innen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie derjenige, der die Schnürarbeit geleistet hatte, anschließend aus dem Zelt herausgekommen war, aber das war eben die Art gewerbsmäßiger Kunstgriff, den man Schaustellern zutrauen durfte. Ich stellte fest, daß es unmöglich war, auch nur einen Blick ins Innere des Zelts zu werfen, ohne mein Taschenmesser zu benutzen, was ich mir auch an guten Tagen zweimal überlegt hätte. Doch während ich noch herumfummelte, hörte ich direkt hinter mir eine Stimme.
    »Was machen Sie da?«
    Ein sehr kleiner und alter Mann stand hinter mir. Ich hatte ihn überhaupt nicht kommen hören, obwohl der Boden so holprig war. Er war fast ein Zwerg, beinahe so braun wie eine Roßkastanie, und er hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf.
    »Ich habe mich gefragt, was da wohl da drin sein mag«, sagte ich kläglich.
    »Eine riesengroße Pythonschlange, zwei Meilen lang, die nicht einmal für ihr Futter aufkommt«, sagte der Kleine.
    »Wie kommt’s?« fragte ich. »Hat sie keine Anhänger?«
    »Altmodisch«, sagte der kleine Mann. »Altmodisch. Nicht mehr gefragt. Gefällt den Frauen nicht. Frauen mögen die großen Schlangen nicht. Aber die Frauen haben heutzutage das Geld – und die Kraft und die Herrlichkeit dazu.« Sein Tonfall änderte sich. »Sie haben hier nichts verloren.«
    »Tut mir leid, Alter«, sagte ich. »Ich konnte mich an einem so schönen Morgen einfach nicht bremsen.«
    »Ich bin der Wächter«, sagte der kleine Mann. »Ich hatte früher selber Schlangen. Kleine. Dutzende und Aberdutzende. Auf mir drauf, eine giftiger als die andere. Stechende Augen, schnellende Zungen, schimmernde Schuppen. Einpacken, nach Hause, zurück, dann wieder Einpacken, wieder zurück. Aber letzten Endes war es kein Renner. Alles hat seine Zeit. Aber ich bin gern noch dabei. Also bin ich jetzt der Wächter. Solange es diesen Job gibt. Solange es überhaupt noch irgendetwas gibt. Also verschwinden Sie jetzt! Verschwinden Sie!«
    Ich zögerte.
    »Diese große Schlange, von der Sie gesprochen haben«, begann ich, »diese Python ...«
    Aber er unterbrach mich ziemlich heftig.
    »Da gibt’s gar nichts mehr zu erzählen. Jedenfalls nicht Leuten wie Ihnen. Sie verlassen jetzt das Grundstück, und zwar dalli. Oder ich hole die Polizei. Die Polizei und ich, wir arbeiten Hand in Hand. Und ich will, daß das so bleibt. Ihnen ist vielleicht nicht bekannt, daß unbefugtes Eindringen strafbar ist. Bleiben Sie hier, und Sie werden es ihr Leben lang bereuen.«
    Der Kleine baute sich wahrhaftig vor mir auf, obwohl die Kugel seines braunen Schädels, die nicht glänzte, sondern matt und fleckig war, als hätte er damit Probleme, kaum an meine Taille reichte. Offenkundig hatte er einen Dachschaden.
    Da ich allen Grund dazu hatte, ging ich. Ich fragte den kleinen Mann nicht einmal mehr nach den Anfangszeiten der Abendvorstellungen oder danach, ob es überhaupt welche gab. Innerlich war ich mir gar nicht darüber klar, ob ich noch einmal wiederkommen wollte, selbst wenn Vorstellungen stattfänden, was ja anzunehmen war. Ich nahm meine geschäftlichen Termine in Angriff. Ich hatte nicht geschlafen, außerdem seit meiner Tee-Stunde am Vorabend nichts gegessen, und in meinem Kopf drehte sich alles; aber ich kann nicht sagen, daß ich meine Arbeit schlechter als sonst erledigte. Wahrscheinlich kam es mir damals so vor, aber jetzt bezweifle ich das. Wie ich seither festgestellt habe, ändern private Schwierigkeiten sehr wenig an der Art, wie die meisten von uns der Außenwelt begegnen, und Essen und Schlafen spielen überhaupt keine Rolle, solange nicht Wochen und Monate vergangen sind.
    Ich machte also mehr oder weniger auf die übliche Tour weiter (allerdings war die übliche Tour in meinem Fall und in diesem Job auch zu besten Zeiten nicht sehr beeindruckend), wobei mir die ganze Zeit im Kopf herumging, was mir zugestoßen war, bis es Zeit für das Mittagessen war. Ich hatte vorgehabt, in demselben Café wie am Vorabend zu essen, aber ich befand mich am anderen Ende der Stadt, wo ich mich überhaupt nicht auskannte, und betrat stattdessen, schlapp und

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