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Angelegenheit, dachte ich), jedenfalls sah der Freiwillige für mich genauso aus wie jeder andere auch.
    »Na endlich«, sagte der Seemann im gleichen unfreundlichen Tonfall. »Dann kommen Sie rauf.«
    Der Freiwillige stolperte über den unebenen Boden, kletterte auf meiner Seite auf die kleine Bühne und blieb vor dem Mädchen stehen, das keinerlei Regung zeigte. Ihr Kopf war so weit zurückgebeugt, daß ich, auch wegen der Entfernung, ihre Augen nicht genau erkennen konnte. Ich konnte nicht einmal mit Gewißheit sagen, ob sie geöffnet oder geschlossen waren.
    »Nehmen Sie ein Schwert«, sagte der Seemann scharf.
    Der Freiwillige stellte sich dabei einigermaßen zimperlich an. Es sah aus, als sei es das erste Mal, daß er einen solchen Gegenstand anfaßte; natürlich traf das auch auf mich zu. Er stand mit dem Schwert in der Hand da und sah aus wie ein kompletter Narr. Seine Haut wirkte im Licht der Lampe grau, er war sehr mager, und sein Haar war stark gelichtet.
    Der Seemann ließ ihn eine ganze Weile dort stehen, vielleicht aus Bosheit oder aus Groll darüber, wie er sein Geld verdienen mußte. Mir erschien die Atmosphäre in dem schmutzigen Zelt gespannt und unbehaglich, aber die anderen Männer im Publikum lümmelten sich auf ihren harten Stühlen und sahen gelangweilt aus.
    Nach einer ganzen Weile drehte sich der Seemann, der bis dahin das Publikum im Auge behalten und den Freiwilligen von der Seite her angeredet hatte, halb um, ohne jedoch den Freiwilligen direkt anzusehen, und schnappte: »Worauf warten Sie? Andere wollen auch noch drankommen, auch wenn es mehr sein könnten.«
    Daraufhin begann jemand aus dem Publikum die Melodie des Schlagers ›Warum warten wir noch?‹ zu pfeifen. Das richtete sich nach meinem Empfinden gegen den Seemann, Conferencier oder wie immer man ihn nennen wollte, und weniger gegen den Freiwilligen.
    »Vorwärts!« brüllte der Seemann jetzt fast im Kasernenhof ton.
    Und dann geschah das Außergewöhnliche.
    Der Freiwillige schien einen Augenblick lang zu zögern, dann versenkte er das Schwert in den Körper des Mädchens auf dem Stuhl. Da er zwischen mir und ihr stand, konnte ich nicht erkennen, wo das Schwert eintrat, aber ich sah, daß der Mann offenbar mit großer Kraft zustieß, denn die Klinge schien fast ganz zu verschwinden. Überhaupt keine Unklarheit ließ das Geräusch zu, das das Schwert machte. Merkwürdigerweise ist uns zumindest die Vorstellung von Leuten, die mit Schwertern erstochen werden, so vertraut, daß ich keinen Zweifel daran hatte, was dieser Mann gerade getan hatte – obwohl ich natürlich nie zuvor etwas Derartiges gesehen hatte. Das Geräusch des Schwertes, wie es in das Fleisch eindrang, entsprach vollkommen meiner Erwartung, es war über dem Zischen der Lampe deutlich zu hören. Und es dauerte außerdem ziemlich lang. Und es war entsetzlich.
    Ich spürte, wie die anderen Männer im Publikum sich augenblicklich strafften und zum Leben erwachten. Noch immer konnte ich nicht genau erkennen, was eigentlich geschehen war.
    »Ziehen Sie’s raus«, sagte der Seemann eher beiläufig, aber so, als spräche er mit einem Schwachsinnigen. Nach wie vor war er dem Freiwilligen nur halb zugewandt und blickte an ihm vorbei in den Raum. Er richtete dabei seine Augen auf nichts Besonderes, bewahrte nur seine Kaltblütigkeit während der Abwicklung einer vertrauten Routine.
    Der Freiwillige zog das Schwert heraus. Erneut hörte ich das unverwechselbare Geräusch.
    Der Freiwillige war dem Mädchen noch zugekehrt, als die Schwertspitze schon den Boden berührte. Ich sah kein Blut. Natürlich nahm ich an, ich hätte alles völlig falsch aufgefaßt und wäre hereingelegt worden wie ein Kind. Offenbar handelte es sich um einen Trick.
    »Küssen Sie sie, wenn Sie wollen«, sagte der Seemann. »Das ist im Preis inbegriffen.«
    Das tat der Mann; allerdings konnte ich nur seinen Rücken sehen. Mit dem herabhängenden Schwert in der Hand beugte er sich vor. Ich glaube, es war ein langer und zärtlicher Kuß, kein Schmatzer für die Öffentlichkeit, denn diesmal hörte ich gar nichts.
    Der Seemann ließ dem Freiwilligen alle Zeit der Welt, und aus irgendeinem merkwürdigen Grund ließen wir übrigen weder Pfiffe noch Zischen hören; endlich richtete sich der Freiwillige langsam wieder auf.
    »Legen Sie bitte das Schwert zurück«, sagte der Seemann mit übertriebener Höflichkeit.
    Der Freiwillige legte es darauf sorgfältig wieder auf den Stapel, wobei er einige Mühe hatte,

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