wollte dieses Mädchen mehr, als ich je zuvor etwas gewollt hatte. Und ich will damit nicht sagen, daß ich nur ihren Körper wollte. Das kommt erst später im Leben. Ich wollte sie lieben, sie in den Arm nehmen und alles, was mehr ist als das und was wir wollen, bevor wir einsehen müssen, wir werden es niemals bekommen, und wenn wir uns es noch so sehr wünschen.
Aber zu meinen Gunsten muß ich sagen, daß ich nicht um sie anstehen wollte.
Das war so ungefähr das letzte, was ich wollte. Und die Chancen standen eins zu drei, daß ich als nächster aufgerufen würde. Ich holte tief Luft und schaffte es, irgendwie hinauszukommen. Ich kann nicht behaupten, daß es sonderlich schwierig war. Ich saß, wie gesagt, nahe an der Rückwand des Zeltes, und niemand unternahm einen Versuch, mich aufzuhalten. Der Bursche am Eingang glotzte mich bloß an wie ein Fisch. Zweifellos war er an Zufallskunden gewohnt, die früher gingen.
Es kam mir so vor, daß der Kraftmeier auf der Bühne genau in dem Augenblick, als ich aufstand, im Begriff war, sich mir zuzuwenden, aber ich wußte, daß ich mir das wahrscheinlich nur einbildete. Ich glaube nicht, daß er etwas sagte, und keiner der übrigen Männer zeigte eine Reaktion. Die meisten Männer geben auf Shows dieser Art lieber vor, unsichtbar zu sein.
Ich verhedderte mich in der schmierigen Zeltklappe, und der Bursche im grünen Pullover machte keine Anstalten, mir zu helfen, aber das war auch schon alles. Ich huschte über den Rummelplatz, wo noch immer kaum eine Seele zu sehen war und das Karussell sein Geklimper hören ließ, sinn- und zwecklos, aber dennoch sehr hübsch. Ich kehrte auf mein widerwärtiges Zimmer zurück und schloß mich ein.
Hin und her ging der übliche Zirkus und Zinnober im Haus, die ganzen Nachtstunden hindurch. Ich weiß es genau, denn ich konnte nicht schlafen. Ich hätte in jener Nacht auch nicht schlafen können, wenn ich im Hilton-Hotel auf Damast gebettet gewesen wäre. Das Mädchen auf der Bühne mit dem grünen Gesicht und allem war mir mächtig unter die Haut gegangen; das Mädchen und natürlich auch die Show. Ich denke, ich kann mit Fug und Recht sagen, daß die Erlebnisse dieses Abends meine gesamte Sicht des Lebens änderten, und das hatte überhaupt nichts zu tun mit den Krawallen in den anderen Zimmern, mit dem Gegacker und den Raufereien im Treppenhaus, mit dem dauernden Ziehen der Toilettenspülung, die die lärmintensivste in den ganzen Midlands gewesen sein muß, weil man für jeden Wasserstrahl sechs oder sieben Mal ziehen mußte. In jener Nacht wurde ich mir der Tatsache deutlich bewußt, daß wir die meiste Zeit über keine Vorstellung davon haben, was wir wollen – oder sie aus dem Blick verlieren; und der noch bedeutsameren Tatsache, daß das, was wir wirklich wollen, sich einfach nicht in das Leben als Ganzes fügt, oder doch nur sehr selten. Die meisten Menschen begreifen langsam und dabei nie den Gesamtzusammenhang. Ich schien alles auf einmal zu begreifen.
Oder vielleicht doch nicht ganz, denn es sollte noch sehr viel mehr folgen.
Am nächsten Morgen hatte ich Termine wahrzunehmen, aber lange bevor es Zeit für den ersten war, schlich ich zurück zu dem winzigen, ramponierten Jahrmarkt. Ich ließ sogar das Frühstück aus, das in Onkel Elias’ Spezialetablissement ohnehin sehr dürftig war, obwohl sich jeden Tag eine erstaunliche Menge von Leuten dazu einfand. Man fragte sich, wo sie sich die ganze Nacht über versteckt hatten.
Ich weiß nicht, was ich auf dem Jahrmarkt zu finden hoffte. Ich war wohl nicht einmal sicher, ob ich den Jahrmarkt überhaupt finden würde.
Aber ich fand ihn. Im hellen Tageslicht wirkte er kleiner, trauriger und noch weniger lukrativ als am Vorabend. Das Wetter war großartig, und viele der Häuser in der unmittelbaren Umgebung standen leer, von den Fabriken ganz zu schweigen, so daß nur sehr wenige Menschen zu sehen waren.
Der Jahrmarkt selbst war völlig menschenleer, was mich erstaunte. Ich hatte so etwas wie ein Zigeuner-Tableau erwartet und dabei außer acht gelassen, daß es auf dem Gelände nicht einmal für Zigeuner eine geeignete Schlafgelegenheit gab. Die Leute, die den Jahrmarkt betrieben, mußten zum Schlafen nach Hause gegangen sein – wie alle Welt sonst auch. Das Grundstück war von einem Maschendrahtzaun umgeben, mit dem der Besitzer Pennbrüder und Methanolsäufer fernhalten wollte, aber inzwischen war der Zaun erwartungsgemäß nicht mehr allzu eindrucksvoll, und ich hatte
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