ihr Wunsch sein würde. Auch Henry wurde immer stiller. Er gestand ihr, daß ihm der Umgang mit schwedischen Geschäftsleuten und Geschäftsmethoden sehr kompliziert vorkam.
»Besonders die jüngeren Männer«, sagte er. »Sie sind so gewieft und schneidig, daß sie dir das Fell über die Ohren ziehn, um anschließend einen Vortrag über den britischen Imperialismus und die Mängel unserer Krankenhäuser zu halten. Man weiß nie, woran man ist.«
Ebensowenig fand Margaret Sovastad sonderlich erfreulich, trotz des gesellschaftlichen Trubels. Der Ort lag am Ufer eines riesigen, schwarzen Sees, den Beschreibungen nach einer der größten nicht nur in Schweden, sondern in ganz Europa; die hohen Berge im Westen verdeckten den halben Tag lang die Sonne, verdunkelten die Straßen und gaben dem Wasser das Aussehen von Teer. Der See war dem Vernehmen nach unergründlich tief und beherbergte, wie meistens in solchen Fällen, eine Kreatur von enormen Ausmaßen und gräßlicher Gestalt, deren Spezies den Zoologen und dessen Herkunft jedermann unbekannt war. Es gab viele Darstellungen dieses Ungeheuers in dem gewissenhaft geführten Heimatmuseum, in dem Margaret von drei schwedischen Damen gewissenhaft herumgeführt wurde, alle besser gekleidet als sie selbst und auch besser in Schuß, alle in einer Ausführlichkeit über die Ausstellungsstücke informiert, die in Manchester undenkbar gewesen wäre.
Auf spätmittelalterlichen Holzschnitten trat die Kreatur mit vorquellenden Augen, gespaltener Zunge und mit einem dichten Ring seetangartiger Haarfühler bewachsen in Erscheinung. In naturphilosophischen Handbüchern aus dem 18. Jahrhundert hatte sie das beschaulichere Gepräge einer barocken Deckenmalerei angenommen. Ein Jahrhundert später, mit dem Vormarsch der Wissenschaftlichkeit, hatten die Ortsansässigen die barbarischsten Gerätschaften konstruiert, um das Wesen zu fangen und zu töten. Sie waren alle getreulich ausgestellt, und die schwedischen Damen erläuterten bis ins einzelne, wie sie funktioniert haben würden. Margaret war erleichert, daß sie nie zum Einsatz gekommen waren.
»Also lebt das Wesen immer noch in dem See?« fragte sie. Sie konnte den schwedischen Namen für das Ungeheuer nicht aussprechen.
»Die Kinder glauben daran«, erwiderten die schwedischen Damen.
Der See war, so erklärten sie, nach dem Wesen benannt: ›Orm-See‹, ›Schlangen-See‹. Es war eines der wenigen schwedischen Wörter, denen Margaret sich mehr oder weniger gewachsen fühlte. Die hohe Tonlage, in der diese Sprache meistenteils gesprochen wird, und die Kombination von Breite und Helligkeit der Vokale überforderten sie völlig. Ein Reiseführer der Gegend, den sie später konsultierte, erläuterte, daß der Name des Sees sich ganz einfach von seiner Randzone herleitete, wo lange Seitenarme sich wie Tentakeln in die Berge hineinwanden.
Margaret stellte fest, daß Sovastad an seinen Ansprüchen gemessen ein wenig zu klein war. Die Schweden gaben sich die größte Mühe mit allem, was Urbanität verkörperte, planten vorzüglich und allumfassend, aber die Bevölkerung war nicht zahlreich genug, um zu verhindern, daß die Berge sich fast auf allen Wegen und bei jedem Blick in die Landschaft durchsetzten und so die vorherrschende Stimmung prägten.
Um halb vier Uhr nachmittags stellte sich für gewöhnlich das Gefühl ein, daß es sich hier um ein Gemeinwesen handelte, das fast wie ein Eskimostamm in einen unaufhörlichen Kampf gegen widrige Natur kräfte verwickelt war. Es gab alle Annehmlichkeiten, aber sie wirkten ein wenig wie der Komfort eines Luftwaffenstützpunkts im Kriegszustand.
Nicht daß Margaret sich eine bessere Anpassung an das bedrohliche Felsgebirge hätte vorstellen können und an den endlosen Winter, auf den man oft scherzhaft, aber auch mit bemerkenswertem Ingrimm zu sprechen kam. Ohne Zweifel hatten die Schweden wahre Wunder gewirkt, dennoch war ein Gefühl der Anspannung allgegenwärtig. Vielleicht konnte nur ein Neuling, ein Besucher aus dem Ausland, dies bemerken.
Zugleich lag über Sovastad immer ein leichter Dunst, ein klammer Schleier – oder, wenn das Sonnenlicht direkt einfiel, eine Vorahnung davon. Auch davon schien das Gemeindeleben durchdrungen, dessen Hektik fast schon etwas Russisches hatte. Und wenn einmal die Sonne zu sehen war, schien der leichte, kaum sichtbare Nebel ihre Hitze noch zu steigern. Doch bald traten die hohen Berge vor das Sonnenlicht, und innerhalb einer Viertelstunde war es
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