seine Hand aus. Ich ergriff sie. Sie war sehr kräftig, aber sonst war an seiner Hand nichts Auffälliges.
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte er. »Keine Sorge.«
Dann drehte er sich um und drückte den schwarzen Schalter für das Minutenlicht im Treppenhaus. Ich sah ihm nicht nach. Ich fühlte mich schlecht und mir war kalt.
Seitdem haben sich trotz seiner Worte unsere Wege nicht wieder gekreuzt.
Im Sanatorium der Schlaflosen
In der Nacht irren diese Unglücklichen, die unter Schlaflosigkeit und Alpdrücken leiden, auf den Wiesen und in den Wäldern umher, um die Müdigkeit zu finden, die ihnen Schlaf geben wird. Unter diesen Heimgesuchten sind Leute aus der guten Gesellschaft, wohlerzogene Damen, sogar ein Pfarrer.
August Strindberg (»Inferno«)
S
olche Orte sind gar nicht so selten, wenn man sich darauf versteht (oder dazu gezwungen ist), nach ihnen zu suchen. So wie Männer und Frauen sich mehr und mehr der Natur entfremden, entfremdet die Natur sich mehr und mehr den Männern und Frauen. Wie dem auch sei, einige dieser Orte sind seit langer Zeit bekannt, seit Menschengedenken, wie es im internationalen Recht heißt. Einige waren ursprünglich wahrscheinlich heilige Stätten der vorchristlichen Menschen, und manche existieren noch heute auf unserem Kontinent, man muß sich nur, wie gesagt, darauf verstehen (oder gezwungen sein), sie zu suchen. Manchmal muß man verblüfft feststellen, wie wenig von dem, was wirklich und wahrhaftig ist , Eingang in die Allgemeinbildung findet – natürlich nur, soweit der Ausdruck ›Allgemeinbildung‹ überhaupt noch eine Bedeutung hat. ›Henry und Molly Sawyer‹ hatten sie auf ihre Weihnachtskarten drucken lassen, dazu eine Adresse in einer Stadt in Cheshire, die man kaum noch eine Stadt nennen konnte, sondern eher einen Appendix und Schlafbezirk von Manchester. Henry Sawyers Visitenkarte zufolge waren ›Erdbewegungen‹ sein Metier, obwohl er, wenn man ihm gegenüberstand, nicht gerade den Eindruck machte, über die Rückenmuskulatur eines Atlas oder die geistige Hebelkraft eines Archimedes zu verfügen, ebensowenig über die Macht, die Welt von Marx und Hitler zu erschüttern. Und wenn man seine gelben Sciencefiction-Maschinen in Bewegung sah, jede mit der Aufschrift S AWYER auf allen vier Seiten, jede imstande, einen Trupp Soldaten mit einem seitlichen Schlenker zu zermalmen, fragte man sich, wie lange er noch darauf hoffen durfte, sie unter Kontrolle zu halten.
Margaret Sawyer sah die gelben Ungetüme so selten wie möglich und bemühte sich, wie alle gutbetuchten Ehefrauen in Manchester, inmitten einer ständig wachsenden Ansammlung kleinerer Ungetüme – surrender, rotierender, zerstückelnder Monster in Küche, Bad und Diele – um die Verwirklichung von Heimeligkeit. Unter anderem sollten diese dienstbaren Geister (Quälgeister, wie sie bisweilen dachte) ihr zu mehr Zeit für ihre Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen, verhelfen, aber das funktionierte nur selten. Margaret durfte kaum hoffen, glücklicher als die anderen Manchester-Ehefrauen zu sein, aber bis zu einem denkwürdigen Abend in Schweden hätte sie den Gedanken zurückgewiesen, definitiv unglücklich zu sein. Und das war sie auch nicht. Vor jenem Abend war sie nicht erwachsen genug für Glück oder Unglück, sie hätte sehr wohl zu den Menschen gehören können, die daran zweifeln, daß diese Worte überhaupt etwas besagen.
Sawyer mußte nach Sovastad im Osten von Zentralschweden reisen, wo eine große, breite, gefährliche und kostspielige Straße über die Berge nach Norwegen im Bau war. Da er dort mindestens eine Woche bleiben mußte, hatten die Schweden, gastfreundlich wie stets, den Vorschlag gemacht, er solle Margaret mitbringen. Diejenigen schwedischen Ehefrauen, die keine eigene Karriere verfolgten, würden sich tagsüber ihrer annehmen und dafür sorgen, daß sie sich wohlfühlte. Margaret hatte eingewilligt; anders konnte man es kaum nennen.
Und so war es dann im großen und ganzen auch gekommen. Margaret hatte in ihrem bisherigen Leben noch nie eine so gründliche und tüchtige Fürsorge genossen, sich noch nie so wohlgefühlt. Es herrschte eine hochtourige, unermüdliche Tag-und-Nacht-Herzlichkeit unter den wohlhabenderen Schweden, die völlig ungewohnt für sie war und die sie am Ende der Woche sehr ermüdend fand, obwohl sie Hemmungen gehabt hätte, das zuzugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, weil sie daheim in Cheshire geglaubt hatte, daß genau das
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