0001 - Das Schloß der Dämonen
nach einem fürchterlichen Besäufnis vermutlich, das schamhaft verschwiegen wurde - war der Burgherr vom Söller in den Hof gestürzt. Zwei Tage rang er mit dem Tode, dann starb er, und der Rest war kurz und lapidar.
Abends, am 3. Jänner Anno Domini 1022, ging die Seele des ersten Teilhart, Comte de Montagne, ein in die Ewigkeit. Er führte ein gottgefälliges Leben. Sein Sohn Leonardo folgte ihm nach. Leonardo de Montagne aber herrschte über die Mächte der Finsternis…
Das war alles. Nur dieser eine Satz.
Der nächste Abschnitt befaßte sich bereits mit Leonardos Sohn Chlodwig, der nach Ansicht des Chronisten wiederum ein gottgefälliges Leben geführt hatte. Zamorra runzelte die Stirn. Leonardo de Montagne aber herrschte über die Mächte der Finsternis, wiederholte er in Gedanken.
Was mochte dahinterstecken?
War es Leonoardo de Montagne, auf den heute noch der Aberglaube zurückging, die Legende von den Dämonen?
Das Buch sagte nichts darüber.
Aber es gab noch andere Chroniken, ganze Regale waren voll davon - und wenn Leonardo tatsächlich in dem Ruf gestanden hatte, mit den Mächten der Finsternis im Bunde zu sein, dann mußte sich irgendwo Näheres darüber finden. Zamorra stand auf, stellte das Buch an seinen Platz zurück. Nachdenklich betrachtete er die vielen verstaubten Lederrücken. Die meisten trugen Jahreszahlen. Also konnte es nicht schwer sein, das richtige herauszufinden.
Ein Geräusch unterbrach ihn.
Unten im Burghof schnitt das Hupen eines Autos durch die Stille. Zamorra wandte sich ab, trat an eine der jetzt verglasten Schießscharten und blickte hinaus. Zwischen Ziehbrunnen und Hauptturm war ein Wagen vorgefahren. Ein großer silbergrauer Citroën. Bei dem Fahrer handelte es sich vermutlich um Charles Vareck, das schwarze Schaf der Familie. Zamorra lächelte leicht, verließ die Bibliothek und ging durch den ehemaligen Wehrgang zurück, um den Neuankömmling zu begrüßen. Zwei Minuten später betrat er die Halle. Anabel und Nicole waren bereits da, und der alte Raffael öffnete eben die Tür, um den Gast einzulassen.
Charles Vareck lächelte strahlend, als er hereinkam. Ein unechtes Lächeln - das fiel Zamorra als erstes auf. Er hatte Vareck als Playboy in Erinnerung, als strahlenden Herzensbrecher, charmant, skrupellos und immer gut gelaunt. Jetzt allerdings, war er verändert. Jedenfalls hatte er nichts mehr von dem großen Jungen an sich, den Frauen so gern bemutterten, er wirkte härter, ernster.
Er sah blaß aus, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und der joviale Ausdruck seines Gesichts war nichts weiter als eine Maske. Zamorra übernahm es, ihn Nicole vorzustellen. Ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten verzichtete Vareck darauf, seinen Charme anzuknipsen.
Er begrüßte Nicole höflich, Anabel de Montagne frostig, und schließlich schüttelte er seinem Vetter die Hand. »Lange nicht gesehen«, murmelte er. »Das letztemal war es in New York, nicht wahr?«
Der Blick, mit dem er sich umsah, wirkte seltsam abwesend und zerfahren. Flüchtig nickte er Raffael zu, der seinen Koffer hereinbrachte. Für einen Moment sah es so aus, als reiße er sich mühsam zusammen, müsse sich konzentrieren, dann atmete er tief durch, und das unechte Lächeln erschien wieder auf seinen Lippen.
»Wie ich höre, ist der gute alte Louis ermordet worden«, sagte er - ziemlich zusammenhanglos. »Merkwürdig - dabei hätte ich geschworen, er würde hundert werden und im Bett sterben. Für wann ist die Testamentseröffnung angesetzt?«
»Für morgen früh«, sagte Anabel kalt.
»Das blaue Zimmer ist für dich vorbereitet. Möchtest du noch etwas essen?«
»Essen?«
Er runzelte die Stirn, als habe er den Sinn der Frage nicht verstanden. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger. Ich gehe sofort hinauf.«
»Wie du willst. Raffael wird dich nach oben bringen.«
Vareck stand auf. Er nickte den Anwesenden zu, immer noch mit diesem abwesenden, eigentümlich gleichgültigen Blick, dann schwang er aprupt herum und folgte dem alten Diener zur Treppe. Die anderen sahen ihm nach. Verwundert, ein wenig befremdet. »Typisch«, behauptete Anabel de Montagne nach einem kurzen Schweigen. Aber Zamorra fand, daß diese Verhaltensweise durchaus nicht typisch war. Er glaubte immer noch, Charles Varecks abwesende Augen vor sich zu sehen. Und irgendwo tief in seinem Innern begann sich eine Unruhe zu regen, die er sich nicht erklären konnte…
***
Die Standuhr in der
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