0001 - Das Schloß der Dämonen
Er warf den Kopf herum, sah, daß der Verfolger aufholte, und zuckte so heftig zusammen, daß er fast das Gleichgewicht verlor. Er jagte auf das Tor zu. Die Zugbrücke war heruntergelassen, das Fallgitter hochgezogen - Château Montagne rechnete nicht mehr mit feindlichen Angriffen, und als Schutz gegen Einbrecher genügten Türschlösser und vergitterte Fenster. Varecks Absätze klapperten auf den Brückenbohlen. Er stolperte, fing sich wieder, und mit ein paar Schritten erreichte er die gepflasterte Zufahrtsstraße.
Zamorra war nur zehn, zwölf Meter hinter ihm. Er trug Kreppsohlen, seine Schritte waren fast lautlos.
Für einen Moment verlor er den Flüchtenden aus den Augen. Wie ein graues Band schimmerte die Straße im Mondlicht, Büsche und Bäume warfen schwarze Schlagschatten. Zamorra blieb stehen und blickte sich um.
Stille!
Keine Schritte, kein Geräusch, nichts! Vareck war in Deckung gegangen, war irgendwo in der Schwärze der Nacht untergetaucht, und vermutlich erwartete er jetzt, daß der Verfolger aufgeben würde. Zamorra dachte nicht daran. Er wollte die Wahrheit wissen. Er spürte, daß mehr hinter diesem Zwischenfall steckte als eine verrückte Laune seines Vetters, und er wollte wissen, womit er es zu tun hatte. Er lauschte. Und mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, die Dunkelheit zu durchdringen. Ein Geräusch in seinem Rücken ließ ihn zusammenzucken. Zweige knackten, Zamorra glaubte, menschliche Atemzüge zu hören. Er preßte die Lippen zusammen und kämpfte den Impuls nieder, blindlings und heftig herumzuwirbeln. Langsam wandte er sich um - und sah sich einer Gestalt gegenüber, die wie aus dem Boden gewachsen zwischen den Büschen am Straßenrand aufgetaucht war.
Nicht Vareck, das wußte er sofort. Ein Fremder! Ein großer, hagerer Mann; knochig, beinahe lächerlich dürr, der reglos dastand wie eine Statue. Zamorra atmete aus. Eine eigentümlich zwingenden Ruhe lag in der Haltung des anderen. Er stand da mit völliger Selbstverständlichkeit.
Sein Gesicht lag im Dunkeln, und nur die Umrisse der Gestalt zeichneten sich vor dem helleren Hintergrund ab. Erst nach ein paar Sekunden machte er einen Schritt nach vorn, und das Mondlicht fiel auf seine Züge. Ein Totengesicht! Zamorra hielt den Atem an. Wie einen Eishauch spürte er die Drohung. Da war etwas! Etwas zwischen ihm und diesen Augen! Sie schienen sich zu vergrößern, weiter zu werden, tiefer. Schwarze, unauslotbare Brunnenschächte, auf deren Grund ein seltsames, gleißendes Feuer brannte…
»Kommen Sie«, sagte der Fremde leise. »Kommen Sie…«
Zamorra preßte die Zähne aufeinander. Wie eine körperliche Berührung spürte er den Blick. Eine unsichtbare Kraft, die gegen die Schranken seines Bewußtseins flutete. Die diese Schranken aufbrechen wollte, in ihn eindringen, ihn in ihren Bann ziehen. Tief in ihm begann eine unsichtbare Saite zu schwingen. Sein Atem keuchte, und seine Gedanken verwirrten sich. »Kommen Sie«, hörte er die Stimme.
»Sie werden kommen! Zu mir - zu mir…«
Zamorra schüttelte den Kopf. Unendlich mühsam. Schweiß stand auf seiner Stirn.
»Nein«, krächzte er.
»Nein…«
Der Fremde lächelte. »Sie werden kommen. Glauben Sie es mir. - Warum wehren Sie sich? Sie sind müde - sehr müde! - Schauen Sie mich an!«
Zamorra hob die Lider, bohrte den Blick in diese fremden lavaschwarzen Augen. Er zitterte. Etwas wie ein Bann, eine todesähnliche Starre schien ihn zu überfallen. Sein Herz hämmerte in dumpfen Schlägen gegen die Rippen. Mit verzweifelter Kraft grub er die Zähne in die Unterlippe, spürte den salzig-bitteren Geschmack seines eigenen Blutes im Mund - und der jähe, scharfe Schmerz schnitt wie ein Messer durch sein Bewußtsein. Der Bann zerbrach. Es war, als sei ein tonnenschwerer Druck von ihm genommen. Er atmete tief durch, und er wußte glasklar, welcher teuflischen Falle er knapp entronnen war. Hypnose! Dieser Bursche mit dem Totengesicht hatte versucht, ihn zu hypnotisieren, ihn unter seinen Willen zu zwingen. Er hatte es vergeblich versucht - denn Zamorra wußte um diese geheimnisvolle Kraft, und deshalb waren die Barrieren seines Willens stark genug gewesen.
»Wer sind Sie?« stieß er hervor - jetzt wieder völlig Herr seiner selbst.
Der Fremde sah ihn an. Prüfend, ungläubig. Einen Moment lang blieb er reglos stehen, leicht vorgeneigt, mit gerunzelter Stirn - und dann wandte er sich mit einer geschmeidigen Bewegung um und verschwand genauso blitzartig und unvermutet
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