0003 - Achterbahn ins Jenseits
immer mehr auf deine Mutter heraus. Sie war auch so hübsch.«
Vera winkte ab. »Ach, hör doch auf, Dad!«
Sie war wirklich ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Damit hatte ihr Vater keineswegs unrecht. Das pechschwarze Haar trug sie hochgesteckt, die enge knallrote Jeans zeichnete ihre langen Beine ideal nach, und was unter dem weißen Mohairpulli verborgen war, ließ so manches Männerherz höherschlagen und die Hersteller von BH’s resignieren. Veras Teint war von einem natürlichen Braun, ihre Augen groß und glutvoll und der Mund sanft geschnitten.
Zwanzig Jahre zählte sie, und ebenso viele Männer hatten schon um ihre Hand angehalten.
Vera hatte sie abgewiesen. Sie wollte sich erst einmal um das Geschäft kümmern – und Männer, mein Gott, die waren in fünf Jahren auch noch da. Außerdem gefiel ihr keiner der Typen, die sie in den Ehehafen führen wollten.
»Soll ich dir eine Tasse Kaffee bringen, Dad?« fragte Vera.
»Ja, das wäre lieb.«
»Wußte ich’s doch.« Vera rutschte von der Schreibtischkante und verschwand in der kleinen Küche.
Für immer kann ich sie auch nicht halten, dachte Carl Norton. Irgendwann wird sie heiraten. Und ob der Mann meine Geschäfte weiterführen wird, ist auch noch eine Frage.
Vera kam mit dem Kaffee und unterbrach die trüben Gedanken ihres Vaters.
Carl Norton nahm drei Stück Zucker. Langsam rührte er den Kaffee um. Vera sah ihm dabei zu. Plötzlich erschrak sie. Ihr Blick war auf das Zifferblatt der Uhr gefallen. »Lieber Himmel, ich muß ja noch einkaufen«, rief sie. »Tschüß, Dad.« Sie küßte ihren Vater auf die Wange und verschwand.
Carl Norton trank den Kaffee in langsamen Schlucken. Die Männer von der Abnahme mußten bald bei ihm eintreffen. Sie waren bereits auf dem Rummelplatz und überprüften andere Karussells.
Nortons Blick fiel aus dem Fenster. Er konnte einen Teil der Achterbahn sehen. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich im Lack des künstlichen Waldes. Die schmalen Schienen glänzten wie poliert. Genau wie die brandneuen, bunten Wagen.
Carl Norton war stolz auf sein Werk.
Er zündete sich eine Zigarette an. Eigentlich hatte ihm der Arzt das Rauchen ja verboten, aber zehn Glimmstengel pro Tag genehmigte sich Norton doch.
Er ging bereits auf die Fünfzig zu, hatte sich allerdings noch gut gehalten. Das schon graue Haar war straff nach hinten gekämmt. Sonnenstrahlen hatten die Haut gebräunt. In den Augenwinkeln hatten sich unzählige Fältchen gebildet, die Nortons Aussehen einen interessanten Ausdruck gaben. Das Gesicht war schmal, die Wangen etwas eingefallen, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Der Preis für wenig Schlaf.
Klingende Hammergeräusche drangen an Nortons Ohren. An irgendeinem Karussell wurde noch kräftig gearbeitet.
Carl Norton trank den letzten Schluck Kaffee und drückte seine Zigarette aus. Er stand auf und ging in den Waschraum, um seine Hände zu waschen. Teppiche verschluckten den Schritt. Die Air-Condition-Anlage summte leise.
Da klopfte es an der Außentür.
Norton runzelte die Stirn. Seine Besucher waren ja überpünktlich.
Carl Norton öffnete.
Aber nicht die Männer der Abnahme standen vor der Tür, sondern ein Mann, den Norton noch nie gesehen hatte. Er trug einen alten Gehrock, enge Hosen, Gamaschen und einen Zylinder auf dem Kopf, unter dem das graue Haar hervorschimmerte und in langen Strähnen fast bis auf die mageren Schultern fiel.
»Ja, bitte?« fragte Norton verwirrt.
Der Mann lächelte. »Darf ich eintreten?« erkundigte er sich höflich.
Carl Norton blickte auf die Uhr. »Ich weiß nicht so recht. Ich erwarte wichtigen Besuch…«
»Es dauert nicht lange«, sagte der Fremde. »Und es ist wichtig. Lebenswichtig sogar.«
Ein Spinner, dachte Norton. Und doch ging irgend etwas von dem Besucher aus, was ihn stutzig machte. Es war der Blick des Fremden. Er hatte etwas Zwingendes an sich. Carl Norton gab eigentlich entgegen seiner Überzeugung die Tür frei.
»Bitte, treten Sie ein.«
»Danke sehr«, sagte der Mann und schritt an Carl Norton vorbei.
***
Im Wohnraum des Wagens blieb der Fremde stehen. »Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Lionel Hampton. Und Sie sind Mister Norton.«
»Ja.« Carl Norton war noch immer ein wenig verwirrt. »Aber setzen Sie sich doch, Mister Hampton.«
»Danke.«
Norton bedachte den Besucher mit einem fragenden Blick. »Möchten Sie etwas trinken?«
Hampton lehnte ab. »Nicht einmal ein Glas Wasser«, sagte
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