0003 - Achterbahn ins Jenseits
praktisch letzten Sekunde losgeschleudert.
Oder aber war ihr Plan doch aufgegangen? Die zweite Möglichkeit erschien dem Geisterjäger wahrscheinlicher.
Der Wagen stand noch auf den Schienen. Er war verbeult und zerdrückt. Aber zuerst mußte sich John um Vera Norton kümmern.
Sie weinte und lachte in einem. »Haben wir gewonnen?« schluchzte sie unter Tränen.
»Vielleicht«, erwiderte John. »Was ist mit dir?«
»Nichts.«
»Kann ich dich allein lassen?«
»Ja.«
»Okay.« John Sinclair lief los.
»Aber wo willst du denn hin?« rief ihm das Girl nach.
Der Geisterjäger gab keine Antwort mehr. Er hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Seinen Überlegungen nach befand sich der Pfarrer in höchster Lebensgefahr.
Während John Sinclair über den Rummelplatz hetzte, lud er die Beretta nach. Ein Ersatzmagazin mit geweihten Silberkugeln trug er immer bei sich. Jetzt, wo Geist und Körper des Totengräbers vereint waren, da hoffte John, daß er den Dämon besiegen konnte.
John Sinclair sprintete mit Riesensätzen durch die Nacht. Wie ein Schatten huschte er an Buden und Karussells vorbei, gelangte dorthin, wo die Wagen standen und sah schon bald das freie Stück des Friedhofes vor sich.
Soeben kam der Mond hinter einer Wolke hervor und goß sein fahles Licht über die freie Fläche.
Deutlich konnte der Geisterjäger die beiden Gestalten erkennen, die miteinander rangen. Er sah das weiße Haar des Pfarrers leuchten und er bekam mit, daß der Geistliche den Kräften des Totengräbers nicht gewachsen war.
Der Pfarrer wurde zu Boden gedrückt.
Sein Hilfeschrei hallte John Sinclair entgegen.
Es schien, als ginge ein Ruck durch den Körper des blondhaarigen Geisterjägers. John streckte sich, holte alle Reserven aus sich heraus. Seine Füße schienen den Boden kaum zu berühren.
»Lionel Hampton!« gellte seine Stimme.
Der Totengräber ließ den Pfarrer los.
Mit einem wilden Fluch kreiselte er herum.
John hetzte auf den Untoten zu.
Noch dreißig Yards… noch zwanzig…
Lionel Hampton stand wie festgewachsen. Er wußte in diesem Augenblick nicht, was er machen sollte. Dann, bevor John schießen konnte, tauchte er zur Seite weg und lief auf das Grab zu. Im Nu hatte er den Spaten gepackt und stellte sich John zum Kampf.
Der Oberinspektor schoß – doch wie der Teufel es wollte, die Kugel prallte an dem Spatenblatt ab und sirrte als Querschläger davon.
Dann schlug der Totengräber zu.
John war schon so nahe heran, daß ihm der Spaten den Kopf von der Schulter rasiert hätte.
Sinclair ließ sich fallen.
Das Spatenblatt pfiff über ihn hinweg. Der Totengräber kam durch seinen eigenen Schwung ins Straucheln.
John war wie ein Blitz auf den Beinen und in Angriffsstellung gegangen.
Zweimal bellte die Beretta auf.
Diesmal traf der Geisterjäger besser.
Der Totengräber wurde von den silbernen Geschossen zu Boden gestoßen, torkelte bis dicht an den Rand des Grabes und fiel hinein.
Sein Todeskampf mußte grausam sein. Die Schreie gellten durch die Nacht und alarmierten die Polizisten, die als Wache aufgestellt worden waren.
Der Teufel war los. Scheinwerfer zerschnitten die Dunkelheit. Hunde bellten. Stiefel stampften über den Boden.
Das alles störte John Sinclair nicht. Er stand am Rand des Grabes und starrte in die Grube.
Dort lag ein Skelett – mehr nicht.
Und quer darüber ein Spaten.
Plötzlich stand der Pfarrer neben John Sinclair. Schweratmend fragte er: »Ist es vorbei?«
»Ja«, erwiderte John, »es gibt keinen Lionel Hampton mehr.« Er steckte die Beretta weg und ging in Richtung Rummelplatz. Auf halbem Wege kam ihm Vera Norton entgegen. Sie sah John Sinclairs lächelndes Gesicht und wußte Bescheid.
Mit einem Seufzer warf sie sich in seine Arme.
***
Tagelang noch wirbelte der Fall Staub auf. Zeitungsreporter erfanden die tollsten Gerüchte. Die Wahrheit jedoch wußten nur wenige, und die schwiegen.
Eine Woche später – John war bereits wieder in London – war die Beerdigung der Opfer. Suko hatte das Krankenhaus verlassen. Er und Sinclair hatten sich den Trauergästen angeschlossen. Die Predigt hielt der Pfarrer, der John Sinclair so tatkräftig unterstützt hatte.
Es waren ergreifende Sätze, die er fand. Er beendete seine Predigt mit den Worten: »Möge das Böse in dieser Welt für immer verschwinden. Dafür laßt uns beten.«
John Sinclair wußte, daß dies ein frommer Wunsch bleiben würde. Denn der Satan schlief nie…
ENDE
[1] Siehe Gespenster Krimi Nr. 205 »Flugvampire
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