0005 - Der Mörder mit dem Januskopf
Ohren zu schlagen.
Die Zeit verging. Draußen wurde es dunkel. John Sinclair merkte nichts davon. Eine nahezu gespenstische Ruhe lag über der großen Leichenhalle.
John Sinclair hatte Zeit, sich mit seinen Gedanken zu beschäftigen. Geisterjäger nannte man ihn, und das war wirklich nicht übertrieben. Er konnte die Fälle kaum zählen, die er schon gelöst hatte. Und immer waren übersinnliche Kräfte mit im Spiel. Dämonen, Vampire, Werwölfe – sie alle hatten schon gegen John Sinclair gekämpft. Und verloren. John wußte, daß die Dämonen auf seinen Kopf einen hohen Preis ausgesetzt hatten. Wem es gelang, den Geisterjäger zu töten, der stieg in der Hierarchie der finsteren Mächte weit nach oben. Aber auch John hatte im Laufe der Zeit gelernt. Er stellte sich auf seine Gegner ein. Er bekämpfte sie mit geweihten Kreuzen, silbernen Kugeln, Amuletten und Vampirpflöcken. Außerdem stand ihm noch Suko, der Chinese, zur Seite. Ein Freund, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte. Auch in diesem Fall war Suko mit von der Partie. Er lauerte an einem der Nebenausgänge des Friedhofs und stand mit John Sinclair per Walkie-Talkie in Verbindung.
Es wurde zweiundzwanzig Uhr. Zeit für eine Meldung.
John schaltete sein Gerät ein. Augenblicklich hörte er Sukos Stimme. »Bei mir ist alles ruhig. Keine verdächtigen Bewegungen!«
»Okay«, funkte der Geisterjäger zurück. »Bei mir das gleiche.«
»Bis in einer Stunde!« hörte er Sukos Stimme. »Und laß dir die Zeit nicht zu lang werden!«
»Gleichfalls!« Der Geisterjäger unterbrach die Verbindung.
Wieder begann die Warterei, und abermals wollte und wollte die Zeit nicht herumgehen. Um dreiundzwanzig Uhr wieder eine Meldung. Keine besonderen Vorkommnisse.
John machte leichte Lockerungsübungen, damit seine Muskeln nicht verkrampften.
Und dann – es war genau zwanzig Minuten vor Mitternacht – hörte er ein Geräusch.
Augenblicklich war der Geisterjäger voll da!
Das Geräusch war nicht zu identifizieren gewesen, es wiederholte sich aber nach einigen Sekunden.
Der Geisterjäger erhob sich von seinem Stuhl und verließ vorsichtig die Kammer. Auf dem Flur brannte nur die Notbeleuchtung. Sie war wirklich spärlich und ließ sämtliche Konturen zerfließen.
John Sinclair wollte es jetzt nicht riskieren, sich bei Suko zu melden. Der Unbekannte hätte seine Stimme hören können.
Irgendwo klappte eine Tür.
John zuckte zusammen. Er hatte sich auf das Geräusch konzentriert und festgestellt, daß es die schmale Nebentür gewesen sein mußte, die ebenfalls zur Leichenhalle führte.
Jemand war bei den Särgen.
Der Leichendieb?
John Sinclair schlich auf die Haupttür der Leichenhalle zu. Er legte seine rechte Hand auf die eiserne Klinke, die linke schob den Nachschlüssel ins Schloß.
John drehte den Schlüssel herum und drückte gleichzeitig mit der rechten Hand vorsichtig und lautlos die Tür auf.
Der nächste Schritt brachte ihn in die Trauerhalle.
Düsteres Zwielicht. Irgendwo flackerte ein Lämpchen. Strenger Geruch von Desinfektionsmitteln kitzelte Johns Nase. Die Särge standen auf kleinen Steinpodesten. Einer war mit Blumen und Kränzen geschmückt. Die bunten Kränze lagen um den Sarg herum. Ein malerisches Bild.
Der Geisterjäger duckte sich und schob die Tür wieder ins Schloß. Er fühlte sein Herz hämmern und wußte plötzlich, daß er dicht vor der Entscheidung stand.
Aber wo befand sich der unheimliche Leichendieb?
John konnte nichts erkennen. Es war zu düster. In den Ecken nisteten Schatten. Sie bildeten pechschwarze Inseln. John erkannte die Umrisse einiger Buchsbäume. Die Bäume bildeten eine Reihe entlang der schmalen Fenster.
Und dann sah John den Mann.
Urplötzlich tauchte er zwischen zwei Bäumen auf. Es war eine kleine Gestalt, aber wieselflink. Geduckt rannte der Unbekannte auf eine Tür zu, deren Umrisse nur schwach auszumachen waren.
Der Geisterjäger startete. Mit gewaltigen Schritten näherte er sich dem Eindringling – ein letzter Satz, und John bekam den Knaben zu fassen. Hart gruben sich seine Finger in dessen Schulter.
Der Mann schrie auf, wurde herumgerissen. Dicht vor sich sah John Sinclair das Gesicht.
Es traf ihn wie ein Schlag.
Der unheimliche Leichendieb war kein anderer als der Friedhofsgärtner. Der kleine Wicht mit den makabren Sprüchen und den unzähligen Falten im Gesicht.
Jetzt zappelte er in John Sinclairs Griff.
»Sie also«, stellte der Geisterjäger fest, nickte und zog den
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