0005 - Ich griff »Nummer eins«
antwortete er, »und du bist ‘n Schnüffler, oder ich will einen Besen fressen.«
»Brian zu sprechen?«
»Kommt darauf an, ob er dich sprechen will.«
Er knallte mir die Tür vor der Nase zu. Drei Minuten später war er wieder da.
»Komm ‘rein!« brummte er.
Er ging mir durch die Halle voraus. Ich sah mich ungeniert um. Ein wenig hatte Brians Villa etwas von einem verwunschenen Schloß an sich. Die Teppiche waren dick, die Polster geschwollen, die Tapeten kostbar, aber gleichzeitig alles stark verstaubt, leicht angeschlissen und ein bißchen unmodern.
Pete öffnete eine Tür rechter Hand, ließ mich vorgehen und kam mir nach. Es handelte sich um eine Art Arbeitszimmer.
Nein, Harry Brian hatte die zwei Stunden, die ich ihm ließ, nicht dazu benutzt, um zu baden. Er saß in einem Ledersessel noch in den Kleidern, in denen er aus dem Gefängnis gekommen war, und rauchte.
»Morgen, Brian«, sagte ich.
»Morgen«, antwortete er, stand auf und ging zum Fenster.
Glauben Sie nicht, daß ›Nummer eins‹ aussah wie ein Verbrecher. Nur den muskelstarken, dummstierigen Handlangern sieht man den Ganoven auf den ersten Blick an. Die Bosse, die Intelligenzler im Reiche der Unterwelt, tragen zumeist ein absolut normales Gesicht, das oft genug nicht einmal unsympathisch ist.
Harry war so etwas wie ein schöner Mann. Er hatte die Vierzig überschritten, und sein Haar schimmerte an den Schläfen silbergrau. Seine Stirn zeigte zwei ironische Falten über der linken Augenbraue. Seine Nase war scharf, aber wohlgeformt. Nur der strichschmale Mund mit den tiefen Kerben rechts und links verriet etwas von der brutalen Energie, die in ihm schlummerte. Er war so groß wie ich und machte selbst jetzt einen gut trainierten Eindruck, und wie er zum Fenster ging, erinnerte sein Gang an die geschmeidigen Bewegungen eines Tigers.
Er zog den Vorhang zurück, warf einen Blick hinaus, wandte dann mir wieder sein Gesicht zu und lächelte.
»New Yorks G-men fahren also in der Tat so teure Autos wie einen Jaguar? Wir haben Ihren Wagen schon vor dem Gefängnis gesehen, aber ich hielt Sie für einen Reporter, weil Ihr Wagen so teuer und so auffällig ist.«
»Keine Sorgen, Brian«, lachte ich.
»Das FBI zahlt nicht so gut oder stellt gar seinen Leuten solche Autos zur Verfügung. Der Jaguar ist ein privates Hobby, und ich schwitze jetzt genug beim Gedanken an die Raten, die ich noch herausrücken muß.«
»Zur unauffälligen Beschattung ist er aber nicht geeignet«, sagte er. Seine Stimme klang gut, und er sprach nicht laut.
»Wir legen keinen Wert darauf, daß Sie unsere Beschattung nicht spüren«, antwortete ich.
Er kam vom Fenster zurück, ließ sich in seinen Sessel fallen, machte eine einladende Handbewegung und sprach:
»Setzen wir uns.«
Sehr höflich bot er Zigaretten und Feuer an und entschuldigte sich, daß er keinen Drink im Hause hätte. Er wäre ja eben erst heimgekehrt, wie ich wüßte.
»Aus dem gleichen Grunde verstehe ich eigentlich Ihr Interesse an mir nicht, G-man. Ich will nicht hoffen, daß Sie annehmen, ich hätte in den zwei Stunden, die ich mich in der Freiheit befinde, schon ein Verbrechen begangen.«
»Um ehrlich zu sein, Brian«, entgegnete ich, »ich bin der Überzeugung, daß Sie in den zwei Stunden, die Sie hier sitzen, nicht nur über eins, sondern über ein halbes Dutzend Verbrechen nachgedacht haben.«
Er zog fragend und ironisch zugleich die linke Braue hoch. Ich beugte mich vor.
»Ich will Ihnen sagen, Brian, was wir vom FBI über Sie und über das, was Sie in naher Zukunft tun werden, denken. — Bevor die Steuer Sie schnappte, hatten Sie sich eine Firma aufgebaut, die Ihnen nach unserer Schätzung eine halbe Million Dollar im Jahr abwarf. Als der Richter Sie schuldig sprach, ging das alles zu Bruch, und die zwei Dutzend kleinerer Ganoven, die Sie zusammengeschweißt hatten, stürzten sich auf ihr Fell. Sie mögen ein paar zehntausend Dollar in der Reserve haben. Für Sie ist das nichts im Vergleich zu Ihrem früheren Einkommen. Außerdem haben ein paar von Ihren Leuten nicht gerade Fairplay gespielt, als Sie stolperten. Sie könnten auf den Gedanken kommen, es ihnen heimzuzahlen.«
Seine ironischen Falten glätteten sich.
»Sie müssen zugeben, G-man, daß es ein verdammt klägliches Gefühl ist, machtlos im Kittchen zu sitzen und Zusehen zu müssen, wie man im Stich gelassen wird und andere, schäbige Burschen, die man aus dem Dreck geholt hat, sich an dem mästen, was man leider nicht
Weitere Kostenlose Bücher