0005 - Ich griff »Nummer eins«
reißen?«
»Das wäre das eine. Andererseits hat er von seinem Standpunkt aus gesehen auch Grund, ihnen wegen Verrates an den Kragen zu gehen, und ich fürchte, er wird es so auffassen. — Mit einem Wort, ich bin der Meinung, daß ab Brians Entlassung mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß Morde passieren, Morde an Leuten, die irgendwann einmal seine Untergebenen waren. Das muß verhindert werden, und es darf ihm nicht gelingen, wieder eine Gang auf die Beine zu stellen.«
»Hören Sie, Chef, mir scheint, dazu brauchen Sie aber einen Mann, der topfit ist.«
»Später vielleicht, Jerry, aber zunächst nicht. Wenn ›Nummer eins‹ aus dem Gefängnis kommt, brauchen wir kein Geheimnis daraus zu machen, was wir alles von ihm erwarten. Im Gegenteil, ich wünsche, daß es ihm recht deutlich klargemacht wird, daß wir auf ihn vorbereitet sind. Sie werden es ihm klarmachen, Jerry. Er soll wissen, daß wir ihn überwachen, und ich hoffe, er wird sich dann überlegen, ob er wirklich so ohne weiteres da anknüpfen kann, wo er vor vier Jahren aufhörte.«
Ich stand auf.
»Danke für den Job, Chef«, sagte ich. »Ich werde mir die Akten aus dem Archiv holen. Ich denke, sie enthalten Lesestoff genug für zehn Tage.«
Das war keine Übertreibung. Was das FBI im Laufe seines Kampfes gegen Harry Brian über ›Nummer eins‹ zusammengetragen hatte, füllte eine kleine Bibliothek. Wenn auch nicht alle diese Berichte von ihm handelten, so enthielten sie doch eine Menge Untersuchungen über Verbrechen, bei denen man Zusammenhänge mit Brians Gang vermutete. Ich schaffte das Zeug nach und nach in meine Wohnung, lag auf der Couch und schmökerte zehn Tage lang darin herum. Zwischendurch hielt ich mich an einen genauen Plan für ein leichtes Training, um wieder restlos in Form zu kommen.
Phil besuchte mich an einem Abend.
»Ich höre, Mister High setzt dich, gegen ›Nummer eins‹ ein«, sagte er. »Wird Zeit, daß ich meinen Juwelendieb finde. Wenn ›Nummer eins‹ im alten Stile loslegt, kannst du eine Hilfe gebrauchen.«
Es kam der Morgen, an dem ich mit meinem Jaguar vor dem Tor des Staatsgefängnisses auf die Entlassung von Harry Brian wartete. Punkt neun öffnete sich das schmale Tor in der großen Mauer. Ein schlanker Mann, in einem irgendwie altmodisch wirkenden Anzug, den Hut tief ins Gesicht gezogen, trat heraus. Er grüßte den Pfortenwärter mit einem Wink der Hand, einem Wink, der auf seltsame Weise höhnisch wirkte.
Ich hatte schon vorher gemerkt, daß einige Dutzend Yard weiter die Straße herunter eine schwarze Limousine parkte. Als Brian an den Bordstein getreten war, fuhr die Limousine, ein Mercury, langsam an und stoppte neben ihm.
Bis auf den Mann am Steuer befand sich niemand in dem Wagen. Brian stieg ein, und ich konnte sehen, wie sie sich die Hände schüttelten. Der Fahrer zeigte mit dem Daumen auf mein Auto, und der entlassene Sträfling warf einen kurzen Blick auf meinen wahrhaftig auffällig rotlackierten Jaguar. Er zuckte die Schultern, nickte seinem Abholer zu, und sie fuhren ab. Ich drehte den Jaguar und gondelte hinter ihnen her. Sie hielten ein mittleres Tempo und gaben sich keine Mühe, mich abzuhängen oder mir auf sonst eine Art zu entwischen.
Die Fahrt ging zur nördlichen Stadtgrenze, und als sie in die sogenannte Pine-Street einbogen, wußte ich, wohin sie fuhren. Zu seinen Glanzzeiten hatte Brian hier eine Villa besessen, die ihm eigentlich nur zur Veranstaltung von Gesellschaften diente. Natürlich wäre sie ihm im Rahmen seiner Steuerschulden gepfändet worden, wenn er sie nicht rechtzeitig auf den Namen einer Freundin hätte eintragen lassen. Der Wagen stoppte prompt vor dem Haus, und es war klar, daß Harry Brian gedachte, zunächst sein Standquartier hier aufzuschlagen.
Ich beschloß, ihm zwei Stunden Zeit zu einem Bad zu lassen, fuhr in den nächsten Drugstore und labberte mir einiges an Milchmixgetränken ein. Dann steuerte ich zur Villa zurück.
Der Vorgarten war nur klein. Ich drückte auf den Klingelknopf der Haustür und wartete geduldig.
Ein breitschultriger Bursche mit einem schweren Schädel, der fast ohne Hals auf den Schultern saß, öffnete und blickte mich aus seinen kleinen Augen schlechtgelaunt an. Es war der Mann, der Brian abgeholt hatte. Jetzt in der Nähe erkannte ich ihn wieder. Es war einer von den Leuten, die einst die Garde von ›Nummer eins‹ gebildet hatten.
»Hallo!« sagte ich, »Pete O‘Neigh, wenn ich nicht irre.«
»Hallo!«
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