0006 - Ich stürmte das graue Haus
erschoß. Logischerweise hätte er eigentlich mich umlegen müssen, aber er befürchtete wohl, daß sich mehrere Polizisten in der Nähe befanden. Er tat das Sichere, ohne Rücksicht darauf, daß es sich um einen Genossen handelte.«
»Ich hoffe, die Brutalität wird ihnen nichts nutzen«, sagte Mr. High. »Wir haben die Beschreibung jenes Brandy, der ohne Zweifel in einem Zusammenhang mit der Erpressung an Ruster und Landy steht, und die Beschreibung des Mordschützen. Einen von beiden werden wir finden.«
***
John Landy hatte in seiner Erzählung den Namen jener Kneipe genannt, in der er damals Joel Ruster und später Brandy kennengelernt hatte. Der Laden hieß Big Dollar, lag in einer finsteren Ecke in Harlem. Ich fuhr am nächsten Morgen hin. Zu dieser frühen Stunde war das Lokal noch leer. Ein dicker Wirt stand hinter der Theke und polierte die Gläser. Ich schwang mich auf einen der Hocker und bestellte einen Brandy. Ich bekam einen Whisky.
»Das erinnert mich an meinen alten Freund«, sagte ich. »Er meinte auch Whisky, wenn er Brandy sagte.«
Der Wirt polierte schweigend weiter.
»Haben Sie den Laden schon lange?«
»Nächstes Jahr ist das fünfundzwanzigste!«
»Vielleicht ist Ihr Gedächtnis gut genug, um mir etwas über Leute zu erzählen, die vor fünfzehn Jahren hier verkehrten.«
Er warf mir einen raschen Blick zu.
»Polizei?« fragte er.
»FBI«, antwortete ich.
»Mein Gedächtnis ist miserabel.«
Ich trank aus. »Es gibt Methoden, es aufzubessern«, sagte ich, während ich das Glas niederstellte. »Noch ’nen Brandy.«
Er goß ein.
»Brandy war übrigens der Spitzname von einem Burschen, der sich früher viel hier herumtrieb«, fuhr ich fort. »Wie hieß er richtig?«
»Weiß ich nicht. Meine Gäste stellen sich nicht vor.«
»Jedenfalls erinnern Sie sich an ihn?«
Er brummte nur. Es konnte ebensogut ja wie nein bedeuten.
»Er war ein ziemliches Kaliber«, setzte ich mein halbes Selbstgespräch fort. »Vorausgesetzt, es stimmt alles, was über ihn erzählt wird.«
»Was für ein Kaliber er war, müßtet ihr von der Polizei wahrhaftig besser wissen, als ich«, sagte der Wirt.
»Warum?«
Er stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Ihr habt ihn doch kurz vor Kriegsausbruch gefaßt, und er war bis lange nach dem Krieg verschwunden. Ich glaube nicht, daß ihr ihn zum General der Armee gemacht habt, weil ihr den Krieg nicht ohne ihn gewinnen konntet.«
»Was hatte er auf dem Kerbholz?«
Er zuckte mit den mächtigen Schultern. »Sehen Sie doch in Ihren Akten nach«, knurrte er. »Da steht’s genauer drin, als ich es weiß. Wird wohl etwas mit dem Revolver gewesen sein. Mit seiner Schießkunst tat er sich ja immer dicke.«
Ich horchte auf. »Konnte er so gut schießen?«
»Irgendwann mal war er Kunstschütze, wenn ich es richtig behalten habe. Jedenfalls gab er hier schon mal ’ne Privat-Vorstellung, wenn er ein wenig angesäuselt war. Mehr als eine Luftbüchse ließ ich nicht zu. Viel Schaden konnte er damit nicht anrichten.«
Durch diese Auskunft zeichnete sich die Möglichkeit ab, daß Brandy und der Mordschütze dieselbe Person waren.
»Sahen Sie ihn nach dem Krieg noch einmal?«
Der Wirt legte das Poliertuch weg. Er musterte mich mißtrauisch. Von dieser Frage ab schien ihm die Unterhaltung gefährlich. Dinge zu erzählen, die ich ohnedies früher oder später in den Kriminalarchiven gefunden hätte, schien ihm nicht riskant.
»Es gibt Methoden, um das Gedächtnis aufzufrischen«, wiederholte ich leichthin. »Bei Kneipenwirten ist zum Beispiel ein Konzessionsentzug eine solche Methode.«
Er verstand. »Ja, ich sah ihn einmal vor vier oder fünf Jahren«, antwortete er. »Er kam frisch aus dem Kittchen.«
»Wohin ging er?«
Er nahm das Tuch wieder auf und wienerte mit aller Kraft an dem Bierhahn herum.
»Wohin ging er?« fragte ich noch einmal — einen halben Ton lauter.
»Am besten fragen Sie Lybold Jones danach«, brummte er.
»Danke«, sagte ich und stieg vom Hocker und warf einen Schein auf den Tisch. »Wenn Sie mal Schwierigkeiten mit Ihrer Konzession haben sollten, wenden Sie sich ruhig an mich.«
***
Jones Adresse zu beschaffen war keine Schwierigkeit. Dennoch suchte ich ihn nicht sofort auf, sondern ging zum Archiv der Staatspolizei.
Sie haben dort eine prachtvolle Organisation. Zwar wußte ich den Namen meines Mannes nicht, aber ich kannte das Jahr, in dem er verurteilt worden war, und die ungefähre Höhe seiner Strafe.
Ich brachte meine Wünsche vor.
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