0006 - Ich stürmte das graue Haus
Sie ließen einen Stapel ihrer Karteikarten durch die Sortiermaschine laufen, und dann überreichte man mir das aussortierte Paket, das alle Straffälle aus dem Jahre 1942 mit Strafen bis zu zehn Jahren Gefängnis enthielt. Natürlich waren das nur die Karten. Die Akten mußte ich mir nach den Nummern aus den Regalen suchen, aber auch die Karten enthielten Stichwortangaben über die Art des Verbrechens und das Aussehen des Täters. Ich führte mir die Karten zunächst gemächlich zu Gemüte und legte zur Seite, was mir des näheren Ansehens wert erschien. Eine Unterlage war darunter — auf sie stieß ich allerdings erst nach zweistündigem Studium —, die mir besonders auffiel. Der Verurteilte hieß George Left, und das klang jenem George Deck, unter dem sich der Mordschütze ein Zimmer gemietet hatte, verteufelt ähnlich. Er war 1942 wegen mehrerer Tankstellenüberfälle zu neun Jahren verurteilt worden, und die Beraubung von Tankstellen war wiederum eine Spezialität von Brandy.
»Kann ich die Akte haben?« bat ich den Archivbeamten, der mich betreute. Drei Minuten später lag sie vor mir auf dem Suchtisch. Ich schlug sie auf. Das erste Blatt zeigte die Bilder: ein breitschultriger Bursche mit kurzgeschnittenem Haar, ohne Zweifel Brandy und zugleich, nach der Beschreibung des Hausbesitzers, George Deck. Sie waren beide ein und dieselbe Person.
Inzwischen war es hoher Mittag geworden. Ich bedankte mich beim Archivangestellten, gab die Unterlagen zurück, und jetzt fuhr ich zu Lybold Jones.
Sein Haus lag draußen in Greenborg Village, ein Bau, der ein wenig an ein altes Schloß erinnerte. Jones verfügte sicherlich über dreißig oder vierzig Zimmer. Der Park rundherum war zwar klein, aber gepflegt, als gehöre er einem englischen Lord.
Es war gar nicht einfach, bis zu Lybold selbst zu gelangen. Ein Bursche in einer Dienerlivree wollte mich an der Tür abwimmeln, und als ich massiv wurde, holte er nicht Jones, sondern einen bebrillten Herrn, der sich als Jones Sekretär vorstellte.
»Sind Sie angemeldet?« fragte der Bursche, der meilenweit nach Urkundenfälscher roch.
Ich kann es nicht leiden, wenn Gangster die vornehmen Leute spielen wollen.
»Wenn du nicht schleunigst dafür sorgst, daß ich Lybold zu sehen bekomme«, fauchte ich ihn an, »mache ich dich persönlich zu einer Visitenkarte und schicke dich als Anmeldung.«
Er rückte irritiert an seiner Sehmaschine und verschwand die Treppe hinauf. Im Hintergrund tauchte der Diener wieder auf. Bei ihm war ein zweiter Mann, dem man den ehemaligen Preisboxer zehn Meilen gegen den Wind ansehen konnte. Sie drückten sich dort herum und beobachteten mich mißtrauisch.
Der komische Sekretär flatterte die Treppe wieder herab.
»Mr. Jones läßt bitten«, stotterte er.
Er lotste mich die Treppe hinauf in ein Arbeitszimmer. Jones wartete dort hinter einem mächtigen Diplomatenschreibtisch auf mich. Er trug einen Schlafrock, so einen Seidenfetzen, mit weißem Taschentuch in der Brusttasche. Offenbar hatte ich ihn im Mittagsschläfchen gestört. Er war klein, aber sehnig, und sein Gesicht mit dem vollen grauen Haar erinnerte an die Visage eines Fuchses. Seine Stimme war hell und ein wenig gellend.
»Sie sind G-man?« bellte er. »Ihren Ausweis, bitte!«
Dazu war er berechtigt, und ich reichte ihn ihm über den Tisch. Er studierte ihn und wurde eine Oktave höflicher.
»Was führt Sie zu mir? Bitte nehmen Sie Platz! Einen Drink?«
Ich nickte. »Warum nicht?«
Er gab seinem Sekretär einen Wink. Der Bursche stürzte mit einem Tablett und Gläsern herbei. Jones wartete, bis ich mich bedient hatte.
»Also?« fragte er.
»Sie steckten vor zwei Jahren in einer Geschichte, die erst nach Bestechung und dann nach Erpressung aussah.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Wärmen Sie bloß das alte Gemüse nicht wieder auf, G-man. Das bekommt meiner Galle nicht.«
»Tut mir leid für Ihre Eingeweide«, antwortete ich, »aber ich werde es aufwärmen müssen, Jones. Ich habe die Sache damals nicht bearbeitet, aber ich bearbeite augenblicklich einen Fall von Erpressung, bei dem es schon zwei Tote gegeben hat, ein Opfer und einen Gehilfen der Gangster. Der Verein arbeitet mit allen Schikanen, wie zum Beispiel Abhörtelefonen, und er arbeitet auch mit jeder Rücksichtslosigkeit. Ich finde, Jones, Ihrer Vergangenheit und Ihrem Talent nach sind Sie der richtige Mann, eine solche Organisation aufzufinden. Es liegt in der Richtung Ihrer Begabung.«
Er grinste
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