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0006 - Ich stürmte das graue Haus

0006 - Ich stürmte das graue Haus

Titel: 0006 - Ich stürmte das graue Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delfried Kaufmann
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Tür. Sie bestand aus Eisen, mit einem winzigen vergitterten Fensterchen in der Mitte, aber ich bekam wenigstens keinen Schlag, wenn ich sie berührte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und spähte hinaus. Ich konnte einen kleinen Ausschnitt eines Ganges sehen, der sehr nach Keller aussah. Es war ja logisch, daß sie ihre Zellen im Keller unterbrachten.
    Ich legte mich auf das karge Bett zurück und versuchte zu schlafen. Es war das beste Mittel, um Kräfte zu sammeln, und meine Kräfte würde ich wahrscheinlich noch brauchen, wenn auch ein Herkules gegen einen Strom von ein paar tausend Volt machtlos ist.
    Noch bevor ich einschlief, wurde ich angesprochen. Eine Stimme, nicht Gradness' Stimme, befahl: »Steh auf, G-man. Stelle dich gegen die Wand und nimm die Arme hoch!«
    Oh, ich gehorchte. Ich wollte sehen, welchen Fortgang die Ereignisse nahmen. Als ich die Arme erhob, stieß ich mit den Fingerspitzen gegen die Glühbirne der Decke, verbrannte mir sie ein bißchen und richtete mich dann so ein, daß ich nicht daran rührte.
    An der Tür knallten außen zwei Riegel zurück. Sie flog auf, und ich sah mich einem Mann gegenüber, der ein Gewehr auf mich richtete. Es war ein großer, schwerer Kerl mit kurzgeschorener schwarzer Bürste, in der graue Fäden schimmerten.
    »Ah, Mr. Brandy persönlich«, sagte ich. »Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und mit einer ehrlichen alten Kugelspritze in der Hand? Ich dachte, so etwas wäre in diesem Haus als unmodern verpönt.«
    »Jeder verläßt sich auf das, womit er am besten umgehen kann«, antwortete er finster. »Im übrigen halt das Maul, G-man!«
    Er trat ein wenig zur Seite. Hinter ihm erschien ein schmaler buckliger Bursche mit dem Gesicht eines Taschendiebes und schob einen Teewagen herein. Er gab dem Ding einen Stoß, daß es bis zu mir rollte.
    »Iß, G-man!« knurrte Brandy Left.
    »Darf ich dazu die Arme herunternehmen?« fragte ich höflich. Er würdigte mich keiner Antwort. Ich setzte mich auf meine Pritsche und machte mich über das Steak mit Bratkartoffeln her. Es schmeckte ausgezeichnet. Nicht einmal den Salat hatten sie vergessen.
    Gradness' Gehilfen sahen mir schweigend zu. Left ließ den Finger nicht vom Drücker.
    Als ich fertig war, lehnte ich mich bequem zurück und fragte: »War es die Henkersmahlzeit, Brandy? Wenn ja, dann möchte ich noch etwas zu trinken. Das steht jedem Todeskandidaten zu.«
    »Steh auf!« grollte er. Ich mußte mich wieder mit erhobenen Armen an die Wand stellen. Dabei geriet ich noch einmal an die Glühbirne und zuckte zurück.
    »Verdammt!« knurrte ich. Der Bucklige lachte meckernd und schadenfroh.
    Obwohl ich mich scheinbar ausschließlich mit dem Essen beschäftigt hatte, hatte ich Brandy doch genau beobachtet. Er ließ keinen Finger vom Drücker, und er hatte zweimal bewiesen, daß er auch auf größere Entfernungen als die paar Yard, die uns im Zimmer trennten, genau traf. Nein, Brandys Kugel konnte ich nicht entgehen, wenn ich ihm nicht irgendwie seine Schußsicherheit nehmen konnte.
    Ich mußte das Tischchen wieder mit einem Fußtritt zu ihnen rollen lassen. Sie zogen sich zurück. Die Tür schlug zu. Ich war wieder allein.
    Ich warf mich auf die Pritsche, rauchte und dachte nach. Wenn es mir gelang, die beiden zu überrumpeln, hatte ich Lefts Gewehr und eine Chance, eine winzige zwar nur, aber da ich früher oder später doch umgebracht werden würde, so konnte es auch ruhig früher sein.
    Mein Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an der verdammten Glühbirne hängen, an die ich zweimal gestoßen war.
    Ich begann leise zu pfeifen. Wenn ich mich beim nächsten Besuch wieder mit erhobenen Armen an die Wand stellen mußte, dann konnte ich mit einem schnellen Zugriff die Glühbirne zerdrücken. Die Beleuchtung auf dem Kellergang war kläglich, jedenfalls kläglich genug, um mein Gefängnis nicht ausreichend zu erhellen. Vielleicht gelang es, und ich war an Left heran, bevor er sich auf die veränderten Beleuchtungsverhältnisse eingestellt hatte. Jedenfalls würde ich es versuchen, und zwar schon, wenn sie das Abendessen brachten, vorausgesetzt, sie hielten nicht eine Mahlzeit am Tag für ausreichend.
    Der zweite Besuch folgte früher, als ich erwartet hatte.
    Wieder befahl Left vom Gang her:
    »Aufstehen! An die Wand! Arme über den Kopf!«
    Ich atmete tief ein. Jetzt ging es also los. In zwei Minuten war ich in dem Besitz eines Gewehres oder tot. Ich stellte mich so, daß die Birne nur fünf Zentimeter von

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