0006 - Schach mit dem Dämon
Telefon summte.
Wie hypnotisiert starrten Powell und ich gleichzeitig auf den Apparat.
»Erwarten Sie einen Anruf?« fragte mich meinen Chef.
Ich schüttelte den Kopf, als ich schon auf dem Weg zum Telefon war, und nahm den Hörer ab.
»Ja«, sagte ich vorsichtig.
Zuerst hörte ich nichts. Nur ein entferntes Rauschen war in der Leitung.
»Melden Sie sich«, rief ich.
Lachen. Zuerst leise, dann lauter, hämischer und triumphierender. »Sinclair?« vernahm ich eine fragende Stimme.
»Ich bin es.«
»Das ist gut, sehr gut sogar. Vermissen Sie niemanden. Zum Beispiel ihre Freunde?«
»Was haben Sie mit Ihnen angestellt?«
»Bis jetzt noch nichts. Ich habe sie nur an einen sicheren Ort geschafft. Sie würden sich wundern, wenn Sie Ihre Freunde sehen könnten. Sie haben sich ein wenig verändert. Ich werde mit Ihnen spielen. Noch. Aber…« der unbekannte Anrufer machte eine kleine Kunstpause, »wenn es mir in den Sinn kommt, werde ich eine Person töten und sie Ihnen zuschicken.«
Der Anrufer sprach im Plauderton. Er redete glatt und sicher, als spräche er über das Wetter. Ich war im Augenblick unfähig, ein Wort zu verlieren. Hart umspannten die Finger meiner rechten Hand den Hörer. Weiß und spitz traten die Knöchel hervor. In mir tobte eine ungeheure Wut, weil ich meinen Gegner nicht kannte.
»Sind Sie noch dran?«
»Ja«, erwiderte ich gepreßt.
»Gut, dann hören Sie weiter zu, Geisterjäger.« Das letzte Wort sagte der Anrufer verächtlich. »Wir haben Ihre Freunde selbstverständlich nicht umsonst entführt, sondern uns etwas dabei gedacht. Wir wollen Sie. Endlich. Aber vorerst lassen wir Sie schmoren. Unternehmen Sie nichts. Warten Sie unseren nächsten Anruf ab. Dann entscheidet sich alles. Haben Sie mich verstanden?«
»Ich habe alles gehört!«
»Wunderbar.« Der Unbekannte lachte noch einmal und legte dann auf.
Auch ich ließ den Hörer auf die Gabel sinken. Langsam wandte ich mich um.
Superintendent Powell wirkte in seinem Sessel wie ein Denkmal. Er sah elend aus, aber mir erging es wahrscheinlich nicht besser. Der Anruf hatte ganz schön an meinem Nervenkostüm gezerrt. Wir waren hilflos wie kleine Kinder, mein Chef und ich. Hinter uns stand eine der mächtigsten Polizeiorganisationen der Welt. Und wir konnten nichts tun.
Die Dämonen hatten alle Trümpfe in der Hand.
»Was ist geschehen?« Superintendent Powells Stimme riß mich aus meinen schweren Gedanken.
Ich holte tief Luft. »Man hat mir die Bedingungen gestellt«, erwiderte ich leise.
»Und?«
»Ich soll mich ruhig verhalten und nichts unternehmen. Sie setzen sich wieder mit mir in Verbindung.«
»Sie«, sagte Powell. »Sind das mehrere?«
»Nein. Es war ein Anrufer.«
»Haben Sie etwas aus der Stimme herausgehört? Kam sie Ihnen vielleicht bekannt vor?«
»Nein.«
»Könnte es unter Umständen ein Gangster gewesen sein? Schließlich sind Entführungen modern geworden. Auch in diesem Fall müssen nicht unbedingt dämonische Kräfte am Werk gewesen sein.«
»Und die magische Sperre?« warf ich ein.
»Die hatte ich vergessen.« Powell stützte beide Hände auf die Sessellehne und stemmte sich hoch. Wie ein Vater legte er mir die Hand auf die Schulter. »Was werden Sie tun, John? Sich den Anordnungen fügen, oder machen Sie weiter?«
Der alte Kampfeswille flammte wieder in mir auf. »Ich mache weiter, Sir. Ich weiche nicht von meinem Plan ab. Ich werde zu Bills Haus fahren und nach Spuren suchen. Es hört sich zwar geschwollen an, aber ich sage Ihnen, Sir, John Sinclair gibt nicht auf. Nicht solange noch ein winziger Funken Hoffnung besteht.«
Es ging doch auf halb drei morgens zu, als ich meinen Bentley vor Bills Grundstück ausrollen ließ. Nichts regte sich. Die Straße lag ruhig und abgeschieden vor, mir. Auch von den Häusern war nichts zu sehen. Kein Licht schimmerte durch das schon bunt werdende Laub der Bäume.
Ich blieb einige Minuten in meinem Wagen sitzen und beobachtete die Umgebung. Es konnte durchaus sein, daß auch meine Gegner das Haus unter Kontrolle hielten.
Diesmal war ich bewaffnet, ich trug meine mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta. Ein an einer Kette hängendes Silberkreuz lag auf meiner Brust. Zusätzlich hatte ich mir noch eine gnostische Gemme eingesteckt, ein Talisman, der auch Dämonen abschreckte.
Als ich sicher war, nicht beobachtet zu werden, verließ ich den Bentley. Ich mußte über die Mauer klettern, da das Tor geschlossen war. Geduckt lief ich durch den großen Garten.
Weitere Kostenlose Bücher