0006 - Schach mit dem Dämon
Eine Taschenlampe hatte ich ebenfalls mitgenommen.
Dann stand ich vor der Haustür. Aufgeschreckt verschwand ein Eichhörnchen hinter einem Busch.
Ich schloß die Tür auf. Das Licht der Taschenlampe wies mir den Weg zum Arbeitszimmer. Ich wußte, wo mein Freund Bill Rechnungen und persönliche Schreiben aufbewahrte. Er hatte sich dafür einen kleinen Sekretär, ein gut erhaltenes Stück aus dem achtzehnten Jahrhundert, gekauft.
Der Sekretär war verschlossen. Mit einem Dietrich manipulierte ich ohne Gewissensbisse an dem Schloß herum. Ich konnte mir das rechtlich erlauben, denn hier lag ein Notfall vor.
Das Schloß leistete nicht lange Widerstand.
Die Schublade knarrte in den Scharnieren, als ich sie aufzog. Unter einigen anderen Papieren fand ich den Hefter mit den Rechnungen.
Ich legte die Lampe so, daß ihr Licht auf den Hefter fiel. Dann schlug ich ihn auf.
Die Rechnung lag gleich zuoberst.
Beinahe hätte ich einen Pfiff ausgestoßen, so überrascht war ich. Fein säuberlich war die Adresse des Antiquitätenladens auf die linke obere Hälfte des Briefbogens gedruckt.
Ich las den Namen Octavio.
Nur ihn, nichts weiter, keinen Vornamen. Das Geschäft lag in Chelsea, einem vornehmen Londoner Wohnort.
Ich klappte den Hefter wieder zu und verstaute ihn in der Schublade. Die genaue Adresse hatte sich in meinem Gedächtnis festgesetzt. Nie mehr würde ich sie vergessen.
Rasch verließ ich das Haus und rannte mit langen Schritten durch den Garten.
Ich hatte ein neues Ziel.
Den Antiquitätenladen in Chelsea…
***
In der Unterwelt nannte man ihn den Aal. Mit richtigem Namen hieß er Mike Bonetti, war zweiunddreißig Jahre alt und hatte schon eine Karriere als Einbrecher hinter sich. Bonetti arbeitete nur auf eigene Rechnung. Er gehörte keinem Syndikat an, verkaufte aber hin und wieder seine Dienste. Und die weit unter Preis, denn nur so war Bonetti sicher, von den Bossen auch in Ruhe gelassen zu werden.
Bonettis Vater stammte aus Sizilien, seine Mutter aus Manchester. Heute lebten beide nicht mehr. Vater Bonetti hatte der lange Arm der sizilianischen Mafia gepackt und die Mutter war aus Gram über den Tod ihres Mannes in die Themse gegangen. Damals war Mike gerade dreizehn Jahre alt. Er hatte lernen müssen, sich durchzuschlagen.
Und wie.
Zuerst räumte er kleine Lebensmittelläden aus. Bis man ihn faßte und für drei Jahre in eine Jugendstrafanstalt steckte. Dort brachte man ihm Tricks bei, die er noch nicht kannte. Bonetti war ein gelehriger Schüler. Außerdem schwor er sich, sich nie mehr fassen zu lassen. Diesen Schwur hatte er bis heute gehalten.
In der Erfolgsleiter war er immer weiter nach oben gestiegen. Und dann hatte er sich spezialisiert.
Auf Antiquitätenläden.
Schon mancher Händler hatte fassungslos am frühen Morgen vor seinen leeren Regalen gestanden, während die Kunstwerke schon auf dem Schwarzen Markt verhökert wurden.
Auch in dieser Nacht arbeitete Mike Bonetti nicht auf eigene Rechnung. Er hatte einen Auftraggeber, und dieser wollte unbedingt einen Standspiegel haben, der in Octavios Antiquitätenladen stand.
Fünftausend Dollar sollte der Aal für den Job bekommen.
Und dafür riskierte der gute Mike schon mal etwas.
Er ging methodisch vor, seine Zeit waren die frühen Morgenstunden. Dann tauchte er wie ein Schatten auf, huschte in die entsprechenden Läden, räumte seine Beute weg und war wieder verschwunden.
Zum Abtransport der »Ware« stand ihm ein Ford-Kombi zur Verfügung.
Die nahe Kirchturmuhr, schlug drei mal, als Bonetti seinen Wagen ein Stück vor Octavios Haus abstellte. Er hatte sich die Gegend am Vortage schon einmal angesehen und festgestellt, daß er keine großen Schwierigkeiten haben würde. Er konnte ohne weiteres durch, einen Hinterausgang in das Haus gelangen.
Bonetti sprang aus seinem Kombi. Kein Laut war zu hören, als er über den Bürgersteig ging. Die Kreppsohlen waren weich und nachgiebig. Bonetti hatte eine schlanke Figur. Er war schwarzhaarig und hatte einen ziemlich dunklen Teint. Seine Nase sprang wie ein Erker aus dem schmalen Gesicht, und auf der Oberlippe wuchs ein strichdünnes Bärtchen.
Der Aal erreichte das Haus.
Er blieb stehen, drückte sich in den Schatten der Hauswand und blickte sich suchend um.
Kein Mensch war auf der Straße zu sehen, niemand beobachtete ihn.
Bonetti war zufrieden. In dieser Gegend schliefen die Leute um drei Uhr morgens. Es gab keine Nachtbars und keine Tingeltangel, die rings um die Uhr geöffnet
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