001 - Im Zeichen des Bösen
von einem Scheusal malträtiert, mit unzähligen Wunden am Körper davongelaufen war? Das hatte auch Vukujev gesehen. Und hatte er nicht mit eigenen Augen beobachtet, wie Lilian einen Vampir eng umschlungen hatte?
Lilian!
Was mochte aus ihr geworden sein? Sie hatte den Verstand verloren und war jetzt bestimmt glücklicher als zuvor. Für sie existierten die Schrecken dieses Schlosses nicht mehr. Die Dämonen fürchteten sie. Im Augenblick war es für sie sicher besser so. Aber was würde später sein, wenn das hier vorbei war? Würde Lilian geistesgestört bleiben, wenn sie ins normale Leben zurückkehrten?
Dorian ballte die freie Hand zur Faust. Er wußte, daß es für ihn so etwas wie ein normales Leben nie mehr geben würde, selbst wenn er lebend aus dem Schloß kam. Er würde nicht mehr als Reporter irgendwelchen banalen Sensationen nachjagen können. Er konnte nicht einfach Scheuklappen aufsetzen und so tun, als sei nichts vorgefallen. Lilians Schicksal würde ihn immer an die Dämonen erinnern. Sie war der lebende Beweis dafür, daß die Welt keineswegs in Ordnung war.
Es braute sich etwas zusammen. Die Dämonen waren stark. Sie hatten sich organisiert, durchsetzten die menschliche Gesellschaft, und vielleicht würden sie eines Tages die Herrschaft über die Erde antreten, wenn niemand mehr da war, der sich ihnen in den Weg stellte. Dorian aber fühlte sich berufen, genau das zu tun. Er schien der einzige zu sein, der die Gefahr in ihrem gesamten Ausmaß erkannt hatte. Er schwor sich in diesem Augenblick, diese Aufgabe zu übernehmen, schon deshalb, weil er Lilian rächen wollte.
Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Im Augenblick war er dem Tod näher als dem Leben, und er verdankte es nur einem Irren, daß ihn die Dämonen noch nicht vernichtet hatten. »Du mußt immer in meiner Nähe bleiben, Vuk«, sagte Dorian zum wiederholten Male.
»Ja, Dorian«, versicherte Vukujev. »Aber hat es denn überhaupt einen Sinn, wie verrückt durch das Schloß zu rennen?«
»Sie sind noch alle hier«, sagte Dorian und blickte sich suchend um.
Die Fackel warf ihr Licht in einen engen Gang hinein, aber sie konnte nicht alle Winkel durchleuchten. In den Schatten lauerten Dämonen. Wenn ihnen Vukujev zu nahe kam, zogen sie sich zurück; durch die Ritzen unter den Türen, in das Gemäuer, in den Boden und in die Decke. Dorian wußte das, obwohl er diesen Vorgang noch nie genau beobachten konnte. Er hörte die Geräusche und sah die schemenhaften Bewegungen.
»Da war jemand«, rief Vukujev plötzlich.
Dorian hatte die Gestalt ebenfalls gesehen, die vor ihnen den Korridor überquert hatte und in einem Seiteneingang verschwunden war. Er begann zu laufen, in der einen Hand die abgebrannte Fackel, in der anderen den langen, krummen Dolch. Als er den Seitengang erreichte, sah er, wie die gespenstische Gestalt gerade durch eine Tür verschwand. Er folgte ihr. Im Türrahmen blieb er erschüttert stehen.
Die Gestalt, die er beobachtet hatte, öffnete gerade ein Fenster. Es war eine nackte Frau, die im Mondschein zierlich und zerbrechlich anmutete. Sie beugte sich weit aus dem Fenster und breitete die Arme aus, als wolle sie im Mondlicht baden. Als sie den Kopf halb zur Seite wandte, sah Dorian ihr Profil.
Lilian!
Er eilte zu ihr, steckte im Laufen den Dolch in die Scheide und zerrte sie brutal vom Fenster weg. Sie zuckte bei der Berührung zusammen, gab aber keinen Laut von sich. Sie schien vor nichts mehr Angst zu haben. Arme Lilian! Erstaunt blickte sie ihm ins Gesicht.
»Du wirst dich noch erkälten, Lilian«, sagte er mit einem leisen Vorwurf in der Stimme und schluckte den Kloß, der ihm in der Kehle steckte, herunter.
»Hast du nicht meine Freunde gesehen, Dorian?« fragte sie mit ausdrucksloser Stimme.
Wenigstens erkennt sie mich noch, dachte er bitter. Mit einer ungestümen Bewegung riß er den Vorhang vom Fenster und wickelte sie darin ein. Sie ließ alles widerstandslos mit sich geschehen.
»Das ist aber ein schönes Kleid«, sagte sie und strich die Falten mit einer ungeschickt wirkenden Bewegung glatt.
»Was gaffst du so blöd?« herrschte Dorian den unschlüssig in der Tür stehenden Vukujev an. Dieser zuckte unter seinen Worten zusammen und wollte sich zurückziehen. »Bleib hier, du Idiot!« schrie Dorian. »Ich habe dir doch gesagt, daß du immer in meiner Nähe bleiben sollst.«
Lilian starrte Vukujev mit ihren großen erstaunten Augen an.
»Wer ist das? Und warum schreist du so, Dorian?«
Er
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