001 - Vampire unter uns
Wenn also der nächtliche Besucher schon nicht sprach, was ja verständlich wäre, so müsste seine Anwesenheit wenigstens in Geräuschen wahrnehmbar sein. Ein Mikrofon ist nicht hypnotisierbar Herr Mertens. Es zeichnet unbestechlich alles auf, was es hört. Und auf diesem Band befinden sich nur die Stimme und die Geräusche eines einzigen Menschen. Ihre, Frau Mertens.«
»Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?« fragte Martha kalt.
»Dass Sie entweder Ihren Mann auf geniale Art betrügen, gnädige Frau, oder dass Sie dringend einen Arzt aufsuchen sollten.«
Wir sahen ihn sprachlos an.
Er lächelte ein wenig unsicher. »Verzeihen Sie die sicherlich verletzende Offenheit!«
»Aber ich hörte die Stimme und auch seine Geräusche«, unterbrach ich ihn.
Er zuckte die Schultern. »Sie selbst erwähnten die Hypnose bereits.«
»Und was ist mit Ihnen?« unterbrach ich ihn erneut – triumphierend. »Sahen Sie nicht eine Gestalt aus dem Fenster springen? Folgte Ihr Boss nicht einer fliehenden Gestalt bis nach Eibenburg?«
Er schüttelte den Kopf. »Was letzteres betrifft, so stammt diese Information von Ihnen.«
»Aber ich …«, begann ich und hielt inne. Er hatte recht – von seiner Warte aus gesehen.
»Und«, fuhr er fort, »was die Gestalt betrifft, so bin ich mir immer weniger sicher, was ich eigentlich gesehen habe. Es gibt nur ein paar Dinge, die ich sicher weiß: dass Sie uns beauftragt haben, das Haus zu beobachten, dass seit gestern abend mein Boss verschwunden ist, dass Sie mir sagten, er hätte aus Eibenburg angerufen, dass ich dort seinen Hut und seinen Wagen fand – und Sie beide am Grab des verstorbenen Ehemannes antraf. Das ist mir kompliziert genug. Wenn Sie mir einzureden versuchen, jemand käme Sie im sechsen Stock Ihres Hauses allabendlich durch die Fenster besuchen und vergewaltige Sie, ohne dass Sie es merkten, dann müssen Sie mir schon zugestehen, dass ich Sie zumindest für schizophren halte. Besucher, die zudem noch nicht den geringsten Lärm machen – selbst dann nicht, wenn sie einer Frau ihren Willen auf zwingen –, meine liebe Frau Mertens, die gibt es in unserer logischen, physikalischen, diesseitigen Welt nicht. Und für die jenseitige bin ich nicht zuständig.«
»Wir auch nicht, Witters«, erwiderte ich ebenso spöttisch.
»So?« meinte er.
»Dann sagen Sie mir einen vernünftigen Grund, warum Sie heute Willie Martins Grab aufsuchten?«
Der Weg war heikel, aber es gab nichts, was mich davon abgehalten hätte. Auch Martha nicht. Sie versuchte es auch gar nicht. Bang und von Zweifeln erfüllt, standen wir noch am selben Nachmittag im Warteraum Dr. Steiners. Ich war fest davon überzeugt, dass Martha mich nicht betrog – zumindest nicht bewusst. Aber Witters hatte in seiner groben Art recht, wenn er meinte, es gäbe nur zwei Möglichkeiten: sich einzugestehen, dass man krank ist und an Sinnestäuschungen leidet … oder an Gespenster zu glauben.
Als wir schließlich an der Reihe waren, drückte ich dem Psychiater nur wortlos das Band in die Hand. Nachdem er es abgehört hatte, klärte ich ihn über die Vorfälle der letzten vier Tage auf.
»Ist es möglich, Herr Doktor, dass wir beide gleichzeitig einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen sind? Dass wir beide … verrückt geworden sind?«
»Ich würde nicht so hastig urteilen«, lenkte Dr. Steiner ein und strich sich nachdenklich über das glattrasierte Kinn.
Seine dunklen Augen blickten ernst, ernster als ich erwartet hatte. »Irrsinn ist eine gefährliche Sache, in die man in den meisten Fällen selber systematisch hineinkriecht. Aber eine Täuschung der Sinne oder eine starke Wunschvorstellung muss nicht gleich bedeuten, dass man verrückt ist. Es gäbe kaum einen normalen Menschen auf unserer Welt, wenn es so wäre.
Jeder stößt in seinem Leben irgendwann einmal auf etwas, das er sich nicht erklären kann. Aber in einem haben Sie recht, Herr Mertens. Das Band beweist, dass Sie beide einer Sinnestäuschung erlegen sind. Ihre Frau in höherem Maße als Sie. In beiden Fällen scheint es mir aber recht einleuchtend erklärbar.
Sie sagten, Ihre Frau hätte eine starke Bindung an Ihren ersten Mann gehabt und sich immer ein Kind gewünscht …«
»Sicher«, wandte ich ein und hielt Marthas Hand fest und beruhigend in der meinen. »Das ist es auch, was wir dachten, als wir endlich anfingen, die Dinge nüchtern zu überdenken.
Aber Willie Martin ist seit fünf Jahren tot. Und Martha und ich führen seit drei
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