001 - Vampire unter uns
Wir stehen vor einem Rätsel. Es ist am besten, wenn Sie rasch kommen.«
»In Ordnung, Doktor.«
Während der Fahrt zur Klinik, erkannte ich, dass sich nicht alle Probleme mit dem Tod des Kindes lösen würden. Es blieb noch immer die Erinnerung. Es blieb die Ungewissheit über die Zusammenhänge. Es blieb unsere Sehnsucht nach einem Kind, zu dem Martha nun vielleicht nicht mehr die Kraft haben würde. Musste aus diesen Ängsten und Frustrationen heraus nicht jener fruchtbare Boden entstehen, auf dem die Geister gediehen, gleich, ob sie aus dem eigenen Unterbewusstsein oder aus dem Jenseits kamen? Würde Willie Martin wiederkehren und noch lebendiger in uns werden? Würde der Wahnsinn wiederkommen, nachdem uns selbst die Realität mit Entsetzen erfüllte?
Als ich in der Klinik ankam, erfuhr ich, dass die Ärzte sich um das Kind bemühten und es mit Transfusionen zu retten versuchten. Noch sei nicht alles verloren, versuchte man mich zu beruhigen. Ich lächelte bitter. In Marthas Zimmer befand sich die Schwester, die bei der Geburt dabei gewesen war, und Frau Bensen, die Amme. Ich küsste Martha, die mir wesentlich ruhiger und kräftiger erschien als am Vortag.
»Ist es nicht schrecklich«, sagte sie. »Willie hat Frau Bensen gebissen.«
»Willie?« entfuhr es mir.
Sie lächelte wieder entschuldigend, und es war schön, sie wieder lächeln zu sehen.
»Ich denke, wir nennen ihn Willie«, sagte sie.
»Aber …«, begann ich.
»Es ist der beste Weg, diese törichte Furcht loszuwerden, Pet«, erklärte sie.
»Aber Willie …«
»Wird er uns nicht ohnehin immer an Willie erinnern, wenn wir ihn ansehen?« fragte sie.
»Ja«, stimmte ich nach einem Augenblick des Schweigens zu, ganz im Widerstreit der Gefühle. Einerseits fühlte ich grenzenlose Erleichterung, dass Martha es so hinnahm. Der Wunsch nach dem Kind war wohl stärker gewesen und triumphierte nun über das Entsetzen. Aber war es richtig, es so einfach zu akzeptieren? Ich wusste es nicht. Konnten wir uns an den Anblick des kleinen Gesichts gewöhnen, ohne uns ständig zu fragen, wie das möglich war?
Erst dann sickerte in mein Bewusstsein, was sie noch gesagt hatte.
»Gebissen? Frau Bensen? Wo?«
Frau Bensen wurde ein wenig rot. »In die Brust«, sagte sie heftig, »beim Stillen! Ich werde das jedenfalls aufhören. Ihr Balg ist mir zu gefährlich. Mein Mann …«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Frau Bensen«, sagte Martha rasch und setzte dann lächelnd hinzu: »Ich glaube, ich bin jetzt selbst dazu in der Lage.«
»Aber wie ist das möglich?« fragte ich. »Säuglinge haben doch keine Zähne, dachte ich wenigstens immer.«
»Da haben Sie schon recht, Herr Mertens«, meinte die Schwester.
»Hat er aber«, erklärte Frau Bensen heftig. »Zwei schöne, spitze Eckzähne im Oberkiefer. Mit denen hakt er sich fest.«
»Wussten die Ärzte das nicht?« warf ich ein.
Die Schwester schüttelte den Kopf.
»Sein Gesicht sieht älter aus«, sagte ich nachdenklich. »Dr. Felbermann findet auch, dass das nicht normal ist. Warum nicht ebenfalls im Wachstum, in der Entwicklung ein paar Kurzschlüsse. Wer weiß, was noch alles kommt.«
»Pet!« sagte Martha.
»Ja, ich weiß«, erwiderte ich, »es hat wenig Sinn, den Teufel an die Wand zu malen.«
Die Tür öffnete sich, und Dr. Lenk, der Leiter der Klinik, kam herein. Seine Miene war nachdenklich.
»Ah, guten Tag, Herr Mertens.« Er reichte mir die Hand und an uns beide gewandt sagte er: »Ihr Sohn lebt, und ich denke, wir werden ihn durchbringen. Für den Anfang wenigstens.
Aber etwas stimmt nicht mit seinem Blut. Sie sollten ihn nach Eibenburg bringen, dort ist man auf solche Krankheiten spezialisiert.«
Martha und ich sahen uns an und erbleichten.
»Man wird dort leichter die Ursache finden können«, fuhr der Arzt fort. »Und hat man erst einmal die Ursache, ist in vielen Fällen auch die Heilung kein Problem mehr.«
Er bemerkte unsere Blässe, schien sie aber zu missdeuten.
»Jetzt wollen wir erst einmal abwarten, ob sich die Symptome wiederholen. Bis zu Ihrer Entlassung, Frau Mertens, werden wir ihn gut im Auge behalten.«
»Was ist mit den Zähnen?« fragte ich rasch, bevor er gehen konnte.
Er zuckte die Achseln. »Ja, wir haben sie festgestellt.
Erstaunlich, aber …« Er zuckte erneut die Schultern. »Sie werden vorsichtig sein müssen, Frau Mertens. Sicher wird er sie wieder benützen. Wir müssen uns etwas ausdenken, damit er trinken, aber nicht beißen kann. Nun gilt es erst einmal, die
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