0012 - Ich - und der Mörder ohne Waffen
worden, und die Zofe versorgte ihn gut. Charlot lag schon im Bett, und Ann Thomper, mit der ich sprach, sagte mir, daß sie verhältnismäßig ruhig sei. Ich hatte das Gefühl, daß alles in Ordnung sei, und legte mich einigermaßen beruhigt ins Bett.
Nein, ich schlief nicht sofort ein. Ich dachte darüber nach, was ich weiter tun konnte, um dahinterzukommen, warum manche Leute sich umbrachten.
***
Ich wachte davon auf, daß das Telefon auf dem Nachttisch schrillte. Ich war sofort hellwach, und ich hatte ein schlechtes Gefühl, als ich den Hörer ans Ohr hob.
Die Zentrale war am anderen Ende der Leitung.
»Da scheint irgend etwas in der Wohnung passiert zu sein, in der Stanford die Wache hat«, sagte der Kollege von der Zentrale. »Wir erhielten einen Anruf vom zuständigen Polizeirevier, das auf irgendeine Weise alarmiert wurde. Einzelheiten noch unbekannt, Jerry.«
Ich war schon aus dem Bett.
»Benachrichtige Phil und Mr. High!« rief ich. »Ich fahr’ sofort hin.«
Mein Wagen, der Jaguar, befand sich in der Garage um die Straßenecke. Ich fluchte, weil ich ihn heute nicht, wie ich es sonst tat, vor dem Haus geparkt hatte. Immerhin, vier Minuten nach dem Anruf saß ich hinter dem Steuer und drehte den Zündschlüssel herum.
Ich hatte bis zu diesem Augenblick noch nicht auf die Uhr gesehen, aber ich sah es an den Straßen, daß es zwei oder drei Uhr nachts sein mußte. Wer New York so gut kennt wie ich, kann aus der Stille oder dem Lärm auf den Straßen, aus der Menge der Autos und aus manchen anderen Anzeichen auf die Stunde schließen.
Jetzt waren die Fahrbahnen leer, und ich konnte den Jaguar von der Kette lassen.
Bald erreichte ich die Straße der Canzerschen Wohnung und sah ein paar Fahrzeuge vor dem Haus.
Ein Cop stand auf der Treppe und breitete die Arme aus.
»Cotton vom FBI«, sagte ich, und er trat zur Seite.
Die Cops waren diesmal schnell gewesen. Ich traf Lieutenant Soon von zwölften Revier und ein paar seiner Leute in der Halle. In einem Sessel saß die Zofe und heulte.
Soon und ich kannte uns von einer früheren Sache. »Hallo, Cotton«, sagte er. »Euer Stanford ist ganz schön zugerichtet. Eine Kugel in der Brust und ein Kratzer am Kopf. Ziemlich viel Blutverlust. Hat zu lange gedauert, bis wir alarmiert wurden.«
»Kann ich mit ihm reden?«
»Zwecklos. Er ist ohnmächtig. Der Krankenwagen muß jeden Augenblick da sein.«
»Wo sind Ann Thomper und Charlot Canzer?« fragte ich, und ich war auf die schlimmste Antwort gefaßt.
»Wovon reden Sie?« fragte Soon zurück. »Hier im Haus sind nur Stanford und dieses heulende Girl dort, das uns alarmiert hat, aber ich konnte bisher kein vernünftiges Wort von ihr herausbekommen. Sie flennt nur.«
Ich ging zu der Zofe hin. Sie trug einen bunten Schlafanzug. Im Gesicht hatte sie einen Kratzer, aber sonst war sie okay, bis auf das hysterische Schluchzen, das ihren Körper schüttelte. Ein paar Cops standen um sie herum und wußten nichts mit ihr anzufangen.
»Wo ist Miss Thomper?« fragte ich. »Wo ist Miss Charlot?«
Sie antwortete nicht. Ich zog ihr die Hände vom Gesicht, aber sie heulte mit geschlossenen Augen weiter.
Es blieb mir nichts anderes übrig. Es ging hier um Leben und Tod. Ich holte aus und versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige. Sie verschluckte sich, riß die Augen auf und wußte nicht, ob sie weiter weinen oder zur Vernunft kommen sollte.
»Hören Sie zu«, sagte ich, bevor sie sich entschließen konnte, »reißen Sie sich fünf Minuten zusammen! Nach den fünf Minuten können Sie soviel weinen, wie sie wollen. Wo ist Miss Thomper?«
»Sie… verließ… das Haus«, stammelte das Negermädchen. »Schon… um neun Uhr — ohne Abendbrot.«
Ich biß mir auf die Lippen. Um acht Uhr hatte ich Ann noch gesprochen, und sie hatte mir versichert, daß sie bleiben würde.
»Und Miss Canzer?«
»Miss… Canzer… erschoß den Beamten. Dann bedrohte sie mich mit der Pistole und sperrte mich in den Keller.«
Aus! Sie weinte wieder. Ich packte ihre Schultern und schüttelte sie.
»Ging sie dann fort?«
»Ja«, wimmerte das Girl. »Sie fuhr fort. Ich hörte es. Sie nahm Miss Thompers Wagen.«
Ich ließ die Zofe los. Mit hängenden Händen stand ich da und zerbiß mit die Unterlippe. Charlot Canzer schoß unseren Mann nieder? War sie verrückt? Ann Thomper verließ das Haus, kaum eine Stunde, nachdem sie das Gegenteil versprochen hatte. Spielte sie ein böses Spiel?
Wo konnten wir die beiden Mädchen finden? Wir konnten den
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