0013 - Die Knochengrube
verkrüppelte Bäume der Insel Marmossa ein und verwandelten sie in Kohlengebilde. Sturmböen peitschten das Land. Der Regen hatte sich in Hagel verwandelt. Eine Stunde tobte das Unwetter nun.
Aber Raspani lachte nur.
Breitbeinig stand er vor dem Tisch, stemmte die Knochenhände in die Seiten, und schleuderte dem Himmel die übelsten Verwünschungen entgegen.
»Niemand wird mich in die Knie zwingen«, grölte er, »auch die verborgensten Mächte nicht. Raspani trotzt allen!«
Er bückte sich nach dem Eimer, um einen Kraken oder eine Muschel zum Vorschein zu befördern. Er griff auf kahles Metall. Der Eimer war leer. Raspani versetzte ihm einen Fußtritt. Dann machte er sich auf den Weg zu seinen Geistermatrosen. Die drei, die vorher bei ihm gewesen waren, hatten sich vor einiger Zeit abgesondert, um ihren Kameraden Gesellschaft zu leisten.
Raspani stapfte zum Knochenhügel. Als er die zuckenden Schauergestalten sah, lachte er wieder. Er malte sich in allen Phasen aus, wie sie sich am Abend vergnügen würden, wie sie die Gefangenen zurichten würden. Er konnte es kaum erwarten.
Der Schwarzgekleidete mit dem abstoßenden Gesicht wandte sich der Grube zu. Kichernd schaute er nach unten, wartete auf den nächsten Blitz. Er wollte sich an Zamorras bleichem Antlitz weiden, an den weit aufgerissenen Augen der Frauen, an ihren Schreien…
Plötzlich verzerrte sich sein Mund.
»Fort«, heulte er, »sie sind fort!«
Er fuhr herum. Wütend stierte er die Geister an. Sie hatten seinen Ruf vernommen und hatten sich aufgerichtet. Keiner von ihnen dachte jetzt noch daran, Kraken zu fressen oder sich mit irgendwelchen Dingen die Zeit zu vertreiben. Die Scheusale hatten grenzenlose Angst vor ihrem Herrn. Wie er nun näher kam, die Fratze von ohnmächtigem Zorn gezeichnet, konnten sie sich nicht seinem Bannkreis entziehen. Sie standen wie auf dem Fleck festgenagelt.
»Warum habt ihr sie entkommen lassen?« fauchte Raspani.
Die Geister wimmerten und jammerten. Sie wußten, was dies bedeutete. Sie hatten einen Fehler gemacht. Die Folgen trugen sie. Gegen den Schwarzgekleideten konnten sie sich nicht wehren, denn er war ihr Herr, und sie als Untertanen hatten seine Demütigungen und Züchtigungen zu ertragen.
»Sprecht!« brüllte er.
Jäh überschlugen sich die Stimmen der Schrecklichen. Einer versuchte, den anderen zu übertönen.
»Weit können sie nicht sein!«
»Ihnen nach!«
»Wir kriegen sie noch!«
Raspani grinste teuflisch. »Wir erwischen sie in jedem Fall noch. Wenn sie nicht im Meer ertrinken, finden wir sie irgendwo auf Marmossa oder gar auf der ›Estrella Negra‹, falls sie so töricht sind, sich dort zu verstecken. Nun gut – zu euch, meine lieben Freunde. Antwortet: Habe ich euch nicht aufgetragen, strengstens über sie zu wachen?«
Die Geister schluckten und stammelten.
»Ihr Lumpen!« schrie Raspani. Dann sprang er auf sie zu und hieb nach ihnen. Er trat und schlug, schaffte immer zwei von ihnen auf die Seite. Binnen Sekunden hatte er sie allesamt zu Boden befördert.
Die scheußlichen Gestalten jaulten vor Schmerz. Einige wollten sich aufrichten, aber es mißlang, weil sie von Raspanis neuerlichen Tritten gegen die Totenschädel getroffen wurden. Schluchzend wälzten sie sich am Boden.
»Es darf nie wieder geschehen«, dröhnte die Stimme des Schwarzgekleideten. »Schwört mir, daß es nie wieder passiert, sonst befördere ich euch in den schwärzesten Schlund der Hölle, wo ihr für ewige Zeiten schmoren müßt!«
»Nein«, winselten die Geister.
»Schwört!«
Sie brachten Ordnung in ihre Knochen, setzten sich auf und rückten eilfertig zusammen. »Wir schwören es, Herr«, sagten sie dann im Chor.
Raspani atmete tief durch. »Ja, so ist es gut. So gefällt ihr mir wieder! Aber vergeßt nicht: noch ein Fehler, und ich habe kein Erbarmen mehr mit euch. Ihr habt es auf die Spitze getrieben.«
Sie senkten die Köpfe.
»Packt euch nun«, herrschte er sie an. »Wir laufen zum Schiff. Wir werden keine Viertelstunde benötigen, um sie mit dem magischen Spiegel zu entdecken.«
Kurz darauf eilten sie im Laufschritt auf die Küste zu, vierzehn Knochengestalten, die vor der Brandung nicht haltzumachen brauchten. Gespenstisch hoben sie sich etwas in die Luft. Gleich darauf huschten sie über die Wellen hinweg. Für die Untoten gab es kein Hindernis.
Sie gelangten an den gigantischen Passagierdampfer. Sofort schwang Raspani die Bordwand empor, glitt auf das Promenadendeck und suchte den Musiksalon
Weitere Kostenlose Bücher