0013 - Die Knochengrube
einen Pluspunkt für sich verbuchen.
Er kehrte zu den Frauen zurück.
»Wie geht es?« fragte er die Schwarzhaarige behutsam.
»Ich glaube, ich schaffe es, Professor. Rosa hat mir alles erklärt.«
Micaela starrte ihn aus glänzenden Augen an. »Ich denke nur immer daran, daß ich es war, die alles verpatzt hat. Wie kann ich das jemals wieder gutmachen?«
»Fehler unterlaufen jedem Menschen«, gab er zurück, »verscheuchen Sie diese Überlegungen. Alles, was ich von Ihnen verlange, sind Ruhe und Beherrschung. Und Gehorsam. Sie müssen auf jeden Fall tun, was ich Ihnen sage.«
»Mein Wort darauf.«
»Hören Sie, Rosa und Micaela. Dort oben sitzen zehn Geistermatrosen. Es hat keinen Zweck, Ihnen das zu verschweigen. Wir werden jetzt nach oben klettern und uns Zug um Zug von der Hügelkuppe absetzen. Haben wir erst die Küste erreicht, ist der Rest ein Kinderspiel.« Er grinste hart. »Vielleicht haben Sie mal einen Wildwestfilm gesehen. Wir müssen schleichen wie die Indianer. Wir dürfen keinen Laut verursachen.«
»Wir sind bereit«, sagte Rosa tapfer.
»Gut, dann gehe ich jetzt vor.« Der Professor glitt bis zur Grubenwand vor. Von nun an verständigte er sich nur noch durch Gesten mit den Saldana-Schwestern.
Er blieb an der Knochenleiter stehen und zeigte ihnen, wie sie die Hände und Füße zu setzen hatten, um mühelos nach oben zu gelangen. Die Schwarzhaarige und die Brünette nickten.
Zamorra hangelte sich aufwärts. Er schaute nach unten: Rosa ließ Micaela den Vortritt. Die Jüngere stellte sich geschickter an, als er erwartet hatte. Er war froh, daß sie die Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte.
Zamorra hatte den Grubenrand von neuem erreicht. Er schob sich im Zeitlupentempo in die Höhe.
Die Geister saßen in der gleichen Anordnung wie zuvor beieinander. Sie kicherten und stießen sich mit merkwürdig stereotypen Bewegungen an. Ganz offensichtlich äfften sie die Gestik einer menschlichen Runde, einer Gesellschaft nach. Wobei dem Professor nicht einmal deutlich wurde, wie wenig die Untoten in der Lage waren, Gemütsregungen zu empfinden. Ihr gesamtes Verhalten war nur Schau, Nachahmung. Manchmal, wenn der Donnerhall nachließ, konnte man ihr Schmatzen hören. Unaufhörlich ließen sie Meerestiere in ihren Mäulern verschwinden. Günstig war, daß sie ziemlich abgelenkt schienen.
Der Regen wurde etwas feiner. Aber Zamorra war längst durchgeweicht. Das Wasser lief ihm über das Gesicht, über Brust und Unterleib, ja, bis in die Schuhe. Er kümmerte sich nicht darum.
Er gab den Frauen ein Zeichen.
Danach schob er sich über den Rand. Es gab sich größte Mühe, keine Bewegung zuviel zu tun, kein Geräusch zu verursachen. Langsam drehte er den Kopf und lugte wieder zu den Scheusalen hinüber.
Sie hatten ihn nicht bemerkt.
Ungestört fraßen sie weiter.
Micaelas Kopf erschien. Zamorra dirigierte die Frau mit Handzeichen. So robbte sie auf ihn zu. Er mußte zugeben, sie machte es nicht schlecht und hielt sogar die Luft an, um nicht aufzufallen.
Bald darauf lag sie neben ihm.
Wieder gab es keine Veränderung in der unheimlichen Runde der Geistermatrosen. Zamorra brauchte Rosa Saldana nicht zurückzuhalten. Sie konnte aus der Grube klettern und sich auf sie zuschieben. Der Professor las aus ihrer Miene, daß sie neue Hoffnung geschöpft hatte. Sie mußten nun alles daransetzen, ungeschoren bis zur Küste von Marmossa zu gelangen.
Unendlich vorsichtig pirschten sie weiter. Jeder Meter, den sie sich von den Schauergestalten entfernten, war für sie wie ein kleiner Sieg. Das Gewittergrollen und das Prasseln des Regens waren laut genug, um jetzt jeden ihrer Laute zu übertönen. Nur wenn Blitze über das Land zuckten, mußten sie sich auf den Boden kauern, um nicht durch das grelle Licht entlarvt zu werden.
Die Geister bemerkten ihre Flucht nicht.
Bald hatten sie so viel Distanz zwischen sich und die Unheimlichen gebracht, daß sie aufstehen und gebückt laufen konnten. Denn sie hatten den oberen Buckel des Hügels hinter sich und konnten von den scheußlichen Wesen nicht mehr ausgemacht werden. Ein sanfter Erdwall bildete eine Sichtbarriere.
Zamorra verfügte über einen gut ausgeprägten Orientierungssinn und ein bildhaftes Gedächtnis. So war es für ihn keine Schwierigkeit, die Saldana-Schwestern bis zum nördlichen Ende der Insel zu führen, dorthin, wo er die »Estrella Negra« gesehen hatte. Die Gewitterwolken hüllten Marmossa und die See in Nachtdunkel, der Regen bewirkte ein
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