0015 - Der Morddämon
mehr, Chu: Ich behaupte, daß sich in dieser Säule ein verborgener Mechanismus befindet.«
Das Staunen in den Augen des Chinesen irritierte Zamorra nicht.
Da konnte der jüngere noch so skeptisch sein. Er wußte es besser.
Chu Siang half Zamorra, sich gegen die Säule zu stemmen. Von allen vier Seiten versuchten sie es, doch sie bewegte sich nicht.
»Glauben Sie jetzt, daß es nur eine Halluzination von Ihnen war, Professor?« keuchte Chu.
Zamorra antwortete nicht. Er dachte fieberhaft nach. Sicher hatte Chu recht. Es war unmöglich, eine so hohe Säule zu bewegen.
Zamorra umschlang die Säule mit beiden Armen. Er versuchte, sie zu drehen. Und auf einmal gab sie nach, schwang im weiten Kreis zur Seite.
Chu Siang taumelte zurück, den Blick auf die kreisrunde Öffnung gerichtet, die entstanden war. »Professor…«, ächzte er. »Da – sehen Sie!«
Zamorra trat an die Öffnung und blickte die Wendeltreppe hinunter.
»Über diese Stufen ist kürzlich jemand gegangen«, sagte er. »Chu, jetzt wissen wir ja, wo Bill Fleming und Nicole geblieben sind.«
Chu biß sich auf die Lippen. »Professor, ist da unten vielleicht das geheimnisvolle Hauptquartier dieses Ming-Li?«
»Durchaus möglich«, sagte Zamorra.
Er warf Chu noch einen prüfenden Blick zu. Aber er verschwieg dem jungen Chinesen, daß er sich seiner Sache völlig sicher war.
War sich Chu eigentlich darüber klar, in welche Gefahr sie sich begaben, wenn sie die Wendeltreppe dort hinunterstiegen?
»Chu, ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie oben bleiben«, stieß er hervor. »Aber ich muß mich beeilen. Nicole und Bill brauchen sicher meine Hilfe.«
»Ich komme natürlich mit. Glauben Sie, ich sei ein Feigling? Wir Siangs waren immer mutige Männer.«
Trotz seiner Unruhe um das Verbleiben der Freunde mußte Zamorra lächeln.
Hatte er Chu in seiner Ehre gekränkt? Das wollte er nicht.
»Ich mache den Anfang«, sagte Zamorra. Er legte den in das Tuch gewickelten Flammenwerfer in seinen linken Arm und betrat die oberste Stufe der Wendeltreppe. »Vergessen Sie Ihren auch nicht, Chu. Möglicherweise brauchen wir ihn.«
»Sie nehmen doch nicht an, daß jemand die Roboter da hinunter bekommen hat?« fragte Chu. »Das würde keiner fertigkriegen. Wendeltreppen steigen haben sie nicht gelernt.«
»Lassen wir uns überraschen«, antwortete Zamorra. Er versuchte, durch seine heitere, unbekümmerte Stimme Chus Nervosität zu zerstreuen.
Je tiefer sie stiegen, um so sicherer wußte Zamorra, daß sie am Ziel waren.
Hier unten hauste der geheimnisvolle Ming-Li. Nun würde sich herausstellen, ob er ein Dämon war oder ein vom Satan beherrschter Mensch.
***
Sechs Changs hielten Bill Fleming gepackt.
In der tiefsten Katakombe unterhalb der Pagode stand er Ming-Li gegenüber.
Ming-Li saß auf einer Art Thron, einem Podest mit einem vergoldeten Stuhl darauf. Er trug ein rotes Gewand.
Bill Fleming starrte auf die schwarzen und grünen Hieroglyphen auf dem Priestergewand. Sein wissenschaftliches Interesse war immer noch wach, wenn ihm auch die schrecklichen Krallenhände dieser Chinesen ständig Kratzwunden auf Armen und Händen beibrachten, während sie ihn festhielten.
»Können Sie Ihre Wachhunde nicht zurückpfeifen?« knurrte Bill.
»Ich bleib’ ja von selbst. Niemand braucht mich festzuhalten. Ich möchte viel zu gern erfahren, wer mich hierher schleppen ließ.«
Ming-Li sprach auf Chinesisch einige Worte.
Bill Fleming war frei.
»Heavens, die haben vielleicht Bärenkräfte«, schimpfte Bill. Dann musterte er Ming-Li, der kahlgeschorene Kopf hatte genau in der Mitte ein Haarbündel, das im Rücken als Zopf herunter hing. Das Gesicht des Chinesen war wie eine undurchdringliche Maske. Es zeigte keinerlei Empfindungen. Die tückischen, schrägen Augen waren eiskalt auf Bill gerichtet.
»Ich bin Ming-Li, der große Erlauchte. Ich bin der Herrscher von Cathay.« Die Augen musterten ihn verschlagen. »Natürlich weiß ein Fremder wie du nicht, was Cathay ist.«
»Doch. So hieß das ehemalige nördliche China nach der Eroberung durch die Mongolen«, brummte Bill Fleming. »Ich bin Historiker und kenne mich aus. Das Wort Cathay kommt aus dem chinesischen Wort Kitai.«
Ming-Lis eisige Augen blieben ohne Regung.
»Ich bin in direkter Linie mit Chan verwandt. Auch Kublai Chan, mein großer Ahnherr, wußte, wie man die Hilfe außerirdischer Geister herbeiruft. Diese Gabe hat sich von Generation zu Generation erhalten. Und ich bin ein Meister auf
Weitere Kostenlose Bücher