0015 - Ich starb um elf Uhr zwanzig
zuverlässig, aber am besten wendet man sich natürlich an den Chef, an Dr. Lindström, ein eingewanderter Schwede, wenn ich mich nicht irre.«
»Könnten Sie ihn hierher rufen?«
»Sicher. Aber dann wird er Sie ja sehen, Jerry!«
»Der Mann darf mich sehen.«
»Wie Sie wollen. Ich habe Ihnen diesen Fall übertragen, und Sie wissen, ich lasse meinen Leuten immer freie Hand, soweit es eben geht.«
Er rief den Chef-Chemiker. Mister High wartete draußen im Korridor und führte ihn selbst ins Zimmer. Hinter sich schloß er die Tür wieder ab. Der Doktor musterte mich aus weit aufgerissenen Augen.
»Nanu? Ich denke, Sie sind…? Wieder eine Zeitungsente?«
»Die Zeitungen konnten es nicht besser wissen. Sie haben die Nachricht von meinem Tod offiziell von uns erhalten.«
»Ah, verstehe, Sie wollen tot sein, Cotton?«
»Richtig, ich will tot sein. Darauf kommt es an. Doc, können Sie mir helfen? Ich bin einer unglaublich frechen Sache auf der Spur. Was ich brauche, ist folgendes: Jemand muß aus Wachs oder aus was weiß ich meine Hände und meinen Kopf anfertigen. Täuschend ähnlich natürlich.«
Der Doktor lächelte. Er strich sich mit seinen gepflegten, aber von Säuren zerfressenen Fingern am Kinn entlang und sagte schlicht:
»Die moderne Chemie kann viel, Cotton. Warum nicht auch das? Ich sehe dabei, offen gestanden, keine große Schwierigkeit.«
Mister High mischte sich ein.
»Doktor Lindström«, sagte er. »Diese Angelegenheit erfordert äußerste Diskretion. Sie dürfen zu keinem einzigen Mensch darüber sprechen, bei Ihrem Diensteid nicht!«
»Ich werde schweigen, Mister High.«
»Auch zu Ihren Kollegen und auch zu unseren Leuten! Zu jedem! Nur Sie und ich und Jerry natürlich noch wissen, daß er nicht tot ist.«
»Selbstverständlich, Mister High. Ich begreife den Ernst der Situation durchaus.«
»Vielen Dank. Ich werde mich morgen früh wieder bei Ihnen melden.«
Mit Vorsicht brachte der Chef den Doktor wieder hinaus in den Korridor. Er hatte Anweisung gegeben, daß er an diesem Tage für keinen Menschen zu sprechen sei. Die besonders wichtigen Fälle sollte man telefonisch durchsagen. Dadurch konnte ich sicher sein, daß niemand Mister Highs Zimmer betrat. Vorsichtshalber hielten wir aber die Tür zum Vorzimmer und die Tür, die direkt hinaus in den Korridor führte, immer verschlossen.
Es gab noch eine Menge zu tun. Mister High regelte alles für mich, weil ich mich schonen sollte, solange es nur eben ging. Bis abends blieb Mister High im Büro. Ununterbrochen hatte im Korridor über seiner Tür die Lampe unter dem kleinen Schild gebrannt, auf dem zu lesen stand: BITTE NICHT EINTRETEN.
Mister High wartete, bis es neun Uhr abends geworden war. Dann ging er die Lage sondieren. Als er zurückkam, sagte er:
»Ich glaube, wir können es jetzt riskieren. Außer den Leuten vom Bereitschaftsdienst ist jetzt keiner mehr im Hause.«
Ich stand auf und zog meinen Mantel an. Ich schlug den Kragen hoch und zog den Hut so tief in die Stirn, daß von mir nicht mehr viel zu sehen war.
Mister High ging voran. Als wir unten angekommen waren, winkte er. Ich nickte und blieb an der Flurecke stehen. Mister High ging um die Ecke. Gleich dahinter war das Fenster von der Pförtnerloge.
Ich hörte, wie er sagte:
»Ach, Joe, entschuldigen Sie. Ich habe vielleicht vergessen, bei mir das Licht auszumachen. Können Sie vielleicht einmal nachsehen?«
»Aber sicher, Chef.«
Ich hörte die Schritte des Pförtners auf die Tür zukommen, an der ich stand. Ich huschte um die Ecke. Mister High ging zurück in den Flur, um zu verhindern, daß Joe auch um die Ecke kam. Während sich Mister High noch ein paar Sekunden lang mit dem Pförtner unterhielt, huschte ich zur Haustür hinaus.
Es kam mir fast wie ein Witz vor. Ich mußte mich aus unserem Distriktsgebäude hinausschleichen, als ob ich selbst ein Verbrecher wäre.
Ich winkte ein Taxi und setzte mich hinein. Wenig später kam Mister High.
»Alles gut geklappt«, sagte er. »Joe hat nichts gemerkt.«
»Gott sei Dank«, seufzte ich. Dann brausten wir los.
***
Wir waren noch nicht lange bei Mister High, da klingelte es an der Wohnungstür. Mister High ging öffnen. Ein paar Minuten später kam er mit einem kleinen diciken Mann zurück, der die Nervosität in Person zu sein schien. Der Kerl schleppte zwei große Koffer mit sich. Mister High machte uns miteinander bekannt, wobei er mich als Mister Tom Hol vorstellte. Wir hatten uns darauf geeinigt, daß dies mein
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