0015 - Ich starb um elf Uhr zwanzig
FBI-Gebäude, um seinen auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellten Wagen zu besteigen. Hinter diesem stand ein Mercury. Wie Augenzeugen aussagten, wurde aus diesem Fahrzeug das Feuer auf Cotton eröffnet, als der G-man sich ungedeckt auf der Mitte der Straße befand. Cotton setzte sich sofort zur Wehr. Aber er hatte nur acht Schuß, und die Gangster schossen mit Maschinenpistolen und vielen Einzelschuß-Waffen auf ihn. Er brach zusammen, wehrte sich aber noch immer. Ein Ford versperrte ihm den Rückzug ins Gebäude und nahm ihn gleichzeitig von der Flanke her unter Feuer. Innerhalb von einer halben Minute war alles vorbei. FBI-Beamte trugen ihren tödlich verletzten Kameraden ins Haus. Nach sechs Minuten starb der G-man Jerry Cotton, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Wir dürfen wohl im Namen aller ehrlichen und guten Bürger sprechen, wenn wir sagen: Die ganze Stadt trauert um dich, Jerry Cotton! Wir werden dich nie vergessen!«
»Um Gottes willen!« rief ich aus und stürzte einen Whisky hinunter. »Hören Sie auf, Chef! Ich fange gleich an zu weinen!«
»Hier, hören Sie sich das noch an, Jerry!«
Er fuhr mit dem Finger auf dem Blatt entlang und las an einer tieferen Stelle weiter:
»Wir sprachen mit dem Freund des Toten, mit G-man Phil Decker. Er weigerte sich, uns eine einzige Frage zu beantworten. Er saß totenbleich vor seinem Schreibtisch und hielt eine leergeschossene Pistole in der Hand. Seine Augen sahen durch alles hindurch. Er streichelte immer wieder über die Pistole. Es war die Waffe, mit der sich Cotton buchstäblich bis zum letzten Atemzug verteidigt hatte. Wir wollten nicht weiter in Mister Decker dringen und ließen ihn in seinem Schmerz allein. Aber eines wissen wir mit absoluter Sicherheit, und jeder G-man, mit dem wir im Distriktsgebäude sprachen, bestätigte es uns: Der Tag wird kommen, wo diese ruchlosen Mörder gestellt werden, und dann wird kein Bürger der Stadt es unseren G-men übelnehmen, wenn sie nach den Worten des Alten Testamentes verfahren: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut.«
Mister High schwieg. Ich auch. Ich schenkte mir noch einen Whisky ein.
»Mir tut Phil leid«, brummte ich.
»Ja, mir auch.«
»Aber es ging nicht anders. Ich hoffe, daß er mir‘s nicht übelnehmen wird.«
»Das wird er sicher nicht. Aber ich habe Ihnen den Artikel aus einem anderen Grunde vorgelesen, Jerry: Glauben Sie nicht, daß die Gangster jetzt besonders vorsichtig sein werden? Sie können sich ausrechnen, und jedes Kind in den Vereinigten Staaten weiß das, daß wir den Mord eines unserer Leute unnachsichtlich verfolgen.«
Ich zeichnete mit dem Nagel des Zeigefingers ein unsichtbares Muster auf die Schreibtischplatte.
»Sicher«, sagte ich langsam. »Sie .verden jetzt supervorsichtig sein. Aber sie werden vielleicht auch ihren Triumph im Schädel haben. Wieviel Leute wollten mich schon um die Ecke bringen! Keinem ist es gelungen, nur ihnen. Sie werden sich wie unglaubliche Helden Vorkommen. Darauf baue ich. Helden — das heißt Leute, die so größenwahnsinnig sind, sich für einen Helden zu halten — machen unglaublich dumme Schnitzer. Man könnte dafür sogar Beispiele aus der Weltgeschichte anführen. Aber wir wollen uns darüber nicht den Kopf zerbrechen. Ich muß mir überlegen, wie ich den Boß dieser Bande überführen kann.«
Mister High zog die Augenbrauen hoch:
»Überführen? Erst müssen Sie ihn doch einmal kennen!«
Ich lächelte.
»Ich kenne ihn bereits«, sagte ich leise.
Und da geriet sogar Mister High so ins Staunen, daß er vergaß, den Mund zu schließen.
***
Gleich mittags hatte Mister High mit dem FBI-Boß von Chikago telefoniert. Der versprach alle Hilfe. Er machte ,in seinem Städtchen einen guten Maskenbildner ausfindig und setzte ihn ins nächste Flugzeug nach New York. Er war davon unterrichtet worden, daß er sich in die Passagierliste als Kunstsachverständiger einzutragen hätte. Zwei von unseren Leuten würden einen Mann, den sie selbst für einen Kunstsachverständigen hielten, vom Flugplatz abholen und in die Wohnung von Mister High bringen.
Mich hatte der Doktor verpflastert und mit Tabletten und Pulvern versehen. Darauf hatte ich den Nachmittag über in Mister Highs Zimmer aut dem großen Ruhe-Diwan geschlafen, bis gegen fünf. Zu dieser Stunde hatte mir Mister High den Zeitungsartikel vorgelesen. Danach sagte ich:
»Wer ist der zuverlässigste Mann in unserem chemischen Laboratorium, Mister High?«
»Sie sind alle
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