0018 - Die Hexenschwestern
vier umbringen zu lassen.
Er unterwarf sie den schändlichsten Folterungen. Aber keines der Mädchen gab die Tat zu. Kamal Haddur sprach von einer Verschwörung von vier Hexen, die ihn selbst fast um den Verstand gebracht hätten und seinen Sohn durch Gift beseitigt hatten.
Der Sultan ließ den Scharfrichter kommen, um den Mädchen die Köpfe abschlagen zu lassen.
Die Köpfe vier unschuldiger Mädchen rollten am Abend darauf, kurz vor dem Einsetzen der Dämmerung.
Der Sultan machte ein Volksfest daraus. Er ließ zwei Fässer mit Wein unters Volk verteilen und zeigte sich als gnädiger Herrscher für die, die ihm nicht nach dem Leben trachteten.
Aber er wußte auch, daß es eine abschreckende Methode war, anderen Gegnern die Laune zu nehmen, sich mit ihm zu messen.
Und wieder einen Tag später hatte er die Töchter des Likargos bereits vergessen. Bei einem Ritt durch die Straßen Chattusas hatte er eine dralle Magd auf dem Markt getroffen.
Und die hielt er gerade in den Armen, als er die vier Gestalten sah.
***
Das erste, was er sah, war allerdings das verstörte Gesicht der Frau in seinen Armen. Plötzlich machte sie sich aus seiner Umarmung los und setzte sich auf dem Diwan auf. Ihre Augen waren vor Furcht geweitet. Ihr Mund stand offen, und ihr Atem ging in heftigen Stößen.
Kamal Haddur wandte langsam den Kopf und blickte zum breiten Fenster, das auf den großen Innenhof seines Palastes führte.
Da sah er die vier Gestalten.
Und er kannte sie.
Schwebend bewegten sie sich auf dem schmalen Sims vor dem Wandelgang mit den gleichmäßig aufragenden Säulen. Der Sims war am oberen Ende keine drei Zentimeter breit. Dort hätte kaum einer der Gaukler zu gehen gewagt, wie sie manchmal aus dem Orient vorbeikamen, um ihre Künste zu zeigen. Einem Seiltänzer hätte man einen derart irrwitzigen Akt vielleicht zugetraut.
Aber auch das nicht im Dunkeln.
Die vier Gestalten vor dem Fenster aber schienen nicht auf die Gefahr eines Absturzes zu achten.
Sicher wie auf einer Straße gingen sie über den schmalen Sims.
Und dann blieben sie stehen.
Sie starrten auf den Sultan und ließen ihn nicht aus dem Auge. Federleicht schienen diese Figuren zu sein. Figuren aus Fleisch und Blut, und lebendig wie Kamal Haddur und seine Liebesgespielin selbst.
Er sah Ana und Clea, er sah Irina und Hiara.
Die vier Töchter des Kaufmanns Likargos waren am Leben!
Schreckensbleich sank der Sultan auf den Diwan zurück. Das war die Rache, fühlte er. Er wußte, daß ein furchtbares Gericht auf ihn zukommen würde.
Da brachen die vier Mädchen in das Zimmer ein. Glas splitterte, die Bohlen und Leisten der Fenster zerbarsten. Aber keines der Mädchen hatte Gewalt angewendet oder das Fenster auch nur berührt.
Die halbnackte Frau vor ihm raffte hastig ihre Kleider zusammen und floh aus dem Gemach des Sultans.
Und Kamal Haddur sah, wie die vier Mädchen unaufhaltsam auf ihn zukamen. Sie schwebten über dem Boden. Ihre Füße bewegten sich kaum. Und sie kamen schweigend, ohne den geringsten Laut.
Dieses Schweigen, dieses dumpfe Schweigen war das Fürchterlichste an der ganzen Erscheinung. Es war so still geworden, daß der Sultan seinen dröhnenden Pulsschlag hören konnte, ohne sich an die Schlagader zu fassen.
Sekundenlang dachte Kamal Haddur an Flucht. Aber er stand wie gelähmt.
Er wollte etwas sagen und brachte kein Wort hervor.
Er wollte zurückweichen und stand wie mit dem Boden verwurzelt da. Unfähig zu einer Bewegung.
Und dann sprach eines der Mädchen. Es war Clea, die älteste der vier Töchter des toten Kaufmanns.
»Du, Kamal Haddur, wirst der erste unter den letzten aller Haddurs sein. Du hast uns geschändet, und wir werden dein Haus und deine Familie auslöschen. Du hast Söhne, und deine Söhne werden wieder Söhne haben. Wir werden sie uns alle holen, bis dein Geschlecht vergessen ist unter allen Ländern der Erde. Dein Palast wird verwüstet werden, und deine Schätze werden in alle Winde verstreut.«
Clea trat auf den Sultan zu und sagte weiter: »Du wirst lange sterben, Kamal Haddur. Du wirst dreihundert Jahre lang sterben. Wir werden einen Balsam auf deine Haut geben und dich mit Tinkturen tränken. Dein Blut wird nie gerinnen, selbst wenn wir dich wie einen Toten ins Grab legen. Du wirst uns am Leben erhalten durch dein Blut, und wir werden uns das Blut aller deiner Nachfahren holen. Heute und in dreihundert Jahren. Und du wirst zusehen müssen, wie wir deine Nachkommen aussaugen und wie wir selbst
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