002 - Das Henkersschwert
Dann steckte er das Holzkreuz in die linke Rocktasche, holte seine Taschenlampe hervor und knipste sie an. Der Lichtstrahl fiel auf eine leblose Gestalt, die neben einer Tür stand.
Dorian biß die Lippen zusammen. Es würde nicht einfach sein, an der Gestalt vorbeizukommen. Der Lichtstrahl wanderte weiter. Dorian war von Coco auf den Effekt vorbereitet worden, trotzdem konnte er ein Schaudern nicht unterdrücken. Der Schein der Taschenlampe zeigte nichts. Es war, als würde er auf einer Wiese stehen und eine Taschenlampe gegen den dunklen Nachthimmel richten. Er konnte nur den Strahl sehen, der sich in der Dunkelheit verlor. Das einzige, was er erblickte, war die weiße Glastür und die Statue. Die Ruhe war unnatürlich. Nicht ein einziges Geräusch war zu hören.
Der Lichtschein tanzte über die Figur. Sie war nicht größer als einen Meter. Der Körper war schwarz und nackt und hatte keine Geschlechtsteile. Es handelte sich um den Hüter des Hauses, wie Coco ihm berichtet hatte. Dorian konnte nicht feststellen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Coco hatte ihm nichts weiter über die Figur erzählt. Das Gesicht der Statue war hinter einer buntbemalten Holzmaske verborgen.
Dorian steckte die Taschenlampe zwischen die Lippen und holte den Knochen hervor, den ihm Helnwein gegeben hatte. Die Pistole nahm er in die linke Hand, den Knochen in die rechte. Dann duckte er sich wie ein Hundertmeterläufer am Start und zählte lautlos bis zehn. Seine Muskeln spannten sich, dann schnellte er sich ab – genau auf die Figur zu, die sich in diesem Augenblick zu regen begann. Hinter der Holzmaske glommen zwei Lichter auf, und aus den Augenschlitzen sprühte Feuer. Dorian ließ sich davon nicht beeinflussen. Er erreichte die Figur, legte seinen rechten Arm um ihre Hüften, hob sie hoch, riß mit einem Ruck die Maske herunter und stieß den Knochen in das abstoßend häßliche Gesicht. Der Schein der Taschenlampe, die er zwischen den Lippen hielt, fiel genau auf die Fratze.
In seinem ganzen Leben hatte Dorian noch nie etwas Abstoßenderes gesehen. Das Gesicht war eine blutige Masse, in der sich daumendicke Würmer wie Blutegel festgesaugt hatten. Es war kein richtiges Gesicht, eher eine runde Scheibe, die durch die Würmer ein gesichtsähnliches Aussehen bekam. In der Mitte befand sich ein vogelartiger Schnabel, in den Dorian den Fingerknochen schob. Einige Würmer krochen dabei auf seine Hand zu. Er drückte die Statue, die zum Leben erwacht war, gegen den Türstock und vergrub den Knochen tiefer im schnabelartigen Mund. Zwei Würmer erreichten seine Hand und zuckten vor dem Knoblauchgestank zurück. Die Figur bäumte sich auf. Dorian überwand seinen Ekel und hielt den Knochen fest. Das merkwürdige Wesen strampelte kurz mit den Beinen, dann bewegte es sich nicht mehr. Auch die Würmer erstarrten.
Dorian atmete tief durch und ließ das seltsame Geschöpf zu Boden fallen. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Dorians Magen regte sich. Mühsam unterdrückte er den Brechreiz. Bis jetzt hatte Coco die Wahrheit gesagt. Die Tür führte in den Keller, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach der Untote lag.
Niemand schien Dorians Eindringen bemerkt zu haben. Aber die Zamis' hatten es gewiß auch nicht nötig, auf Einbrecher zu achten.
Jeder andere wäre unweigerlich in die Fallen gegangen. Die Dämonen fühlten sich sicher. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, daß Coco die Fallen verraten würde.
Dorian betrat den Stiegenabgang. Er nahm die Taschenlampe aus dem Mund und sah sich flüchtig um, dann stieg er die Treppe hinunter. Sie führte schnurgerade in die Tiefe. Die Wände waren dunkelrot gestrichen, mit einer Farbe, die das Licht reflektierte. Die Wände des Kellers waren dagegen mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Er erkannte die Teufelsstatue, von der ihm Coco erzählt hatte.
Der Schein der Taschenlampe huschte voran und blieb auf einem Sarg hängen. Darin mußte sich Bruno befinden. Er ging weiter. Als er das leise Lachen hörte, blieb er stehen und hielt die Taschenlampe in die Richtung, aus der es erklungen war. Seine Hand zitterte leicht, als er Bruno Guozzi erkannte. Der Untote grinste ihn höhnisch an.
Hinter ihm standen einige Gestalten, die in weiße Leinentücher gehüllt waren.
»Wir haben Sie erwartet, Dorian Hunter«, hörte er die Stimme von Cocos Vater. »Herzlich willkommen!«
Dorian taumelte entsetzt einige Schritte zurück. Der Untote kam auf ihn zu.
»Nimm ihn dir, Bruno!« hörte er die Stimme
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