002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
von den Feinden mit Pfeilen erschossen. Die meisten aber blieben und wurden ausgehungert. Oder sie starben an dem Aussatz.«
»Furchtbar…« Jacinthe fröstelte. »Und die Kelten nahmen dann die Burg ein?«
»Ja. Aber ein jüngerer Bruder des Chevaliers – er lebte damals bei Lyon – holte Söldner und warf mit ihrer Hilfe in einer blutigen Schlacht die Kelten wieder hinaus. Er nahm die Burg selbst in Besitz, doch auch er starb an dem Aussatz. Erst einer seiner Neffen übernahm die Burg Jahrzehnte später wieder. Und seitdem war sie immer im Besitz desselben Geschlechts.«
»Die Aussätzigen spuken jetzt noch in der Burg«, flüsterte Jacinthe.
Der Wirt sah auf.
»Jetzt aber raus. Dummes Kind! Es spukt doch nicht in der Burg.«
»Ich habe Lichter hinter den Fenstern der Burg gesehen, und damals waren die Amerikaner noch nicht angekommen.«
»Nun, die Burg hatte viele zerbrochene Fenster. Sicher haben dort hin und wieder Vagabunden übernachtet. Laß mich jetzt in Frieden. Wenn du über Gespenster und solchen Kram sprichst, kann ich mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren.«
***
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Madame.« Capitaine Clemence Morel verneigte sich vor Eliza Webster.
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Wirklich, Monsieur? Sie sind Polizeibeamter, sagte mir der Herr Bürgermeister.«
»Ja, wir haben das Verschwinden eines Dorfbewohners zu beklagen«, mischte sich der Bürgermeister ein. »Der alte Gaston Galaire war bei allen Leuten beliebt. Immer wenn es hier im Ort eine Hochzeit oder eine Beerdigung gab, spielte er mit seiner Fidel zum Tanz auf.«
»Oh, der arme Mann. Was ist mit ihm geschehen?« fragte Eliza Webster mitfühlend.
»Wir wissen es nicht. Er ist verschwunden. Nichts deutet auf eine Gewalttat hin.«
»War er schon sehr alt?«
»Über sechzig Jahre.«
»Vielleicht hatte sich sein Geist verwirrt?«
»Das sagen die meisten Leute, die ich befragte«, bestätigte der Capitaine von der Polizei. »Er wird ins Moor gelaufen und dort ertrunken sein. Ich werde heute nachmittag mit einigen Leuten, die das Moor gut kennen, losziehen und versuchen, Spuren zu finden.«
»Eine gute Idee!« Eliza seufzte. »Aber wenn es sich um keine Gewalttat handelt, muß es doch ein bedauerlicher Unglücksfall sein.«
Der Capitaine musterte die schöne Frau aufmerksam.
»Es ist noch eine Person wie vom Erdboden verschwunden«, sagte er. »Es handelt sich um einen Feriengast, der im La Marche bei Monsieur Tannot wohnt. Er machte einen nächtlichen Spaziergang, und auch er ist nicht wieder zurückgekehrt.«
Eliza erschauerte anmutig. »Oh. Sie machen mir Angst. Das klingt richtig unheimlich, nicht wahr?«
»Sie kennen ihn, Madame. Sie haben neulich mit diesem jungen Mann gesprochen, als Sie die Post abholten«, sagte der Bürgermeister.
»Dieser Herr war es?« Elizas graue Augen weiteten sich. »Ein wohlerzogener junger Mann. Und er sieht phantastisch aus.«
»Warum, Madame, sieht man Sie so selten hier im Dorf?« fragte der Capitaine. »Ich stelle mir das Leben auf so einer alten Burg sehr einsam vor.«
»Oh, das ist schon wahr, Monsieur«, beteuerte Eliza. »Aber mein Mann ist nicht gesund, wissen Sie? Er ist sehr nervös. Er haßt menschliche Gesellschaft. Wir leben dort sehr zurückgezogen. Ich versuche nach eigenen Kräften, die verschiedenen Räume des Chateaus ein wenig wohnlicher zu gestalten. Aber ob ich jemals dort Gesellschaften geben kann, wie ich es mir wünsche? Ich würde die wichtigsten Personen des Dorfes einladen, Sie, Monsieur Bürgermeister, den Abbe, die beiden Lehrer…« Sie seufzte. »Aber zunächst muß mein Mann wieder gesund sein.«
»Gewiß, Madame.« Der Bürgermeister verneigte sich vor Eliza. »Wir freuen uns jetzt schon auf die Einladung und haben Geduld. Und wenn Sie Ihrem Gatten bitte unsere Genesungswünsche bestellen würden?«
»Natürlich, Monsieur, danke.« Eliza Webster lächelte. Sie reichte Capitaine Morel die Hand. »Und Ihnen wünsche ich viel Erfolg bei der Suche nach den beiden Vermißten. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
»Leider nein! Vielleicht finden wir im Moor Spuren, die uns weiterhelfen.«
***
Auf allen vieren kroch Adrien Colombier den Graben entlang. So schnell gab er nicht auf. Er mußte aus dieser Falle irgendwie herausfinden.
Noch hatte er den Graben nicht in seiner ganzen Größe gesehen. Vielleicht fand er doch eine Möglichkeit, herauszuklettern?
Recht merkwürdig
Weitere Kostenlose Bücher